Überstunden und Arbeitsrecht
Was Sie bei Überstunden unbedingt beachten sollten

Sie wollen Überstunden anordnen? Oder diese pauschal abgelten? Die Arbeitsrechtlerin Sandra Schiffgen erklärt, welche Rechte Arbeitgeber haben und wie Sie Konflikte mit dem Team vermeiden.

27. Februar 2024, 09:00 Uhr, von Kathrin Halfwassen, Redakteurin

Überstunden und Arbeitsrecht
© Malte Mueller / fStop / Getty Images

impulse: Frau Schiffgen, welchen Fehler machen Unternehmerinnen und Unternehmer beim Thema Über­stunden häufig?
Sandra Schiffgen:
Den, im Arbeitsalltag das Allermeiste allein mündlich zu regeln. Dabei vergessen sie: Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen haben zwar die ­Befugnis, Überstunden anzuordnen. Erbringen müssen Mitarbeitende sie aber nur, wenn diese Befugnis schriftlich fixiert und geregelt ist, ­idealerweise im Arbeitsvertrag. Sonst besteht für sie keine Pflicht, mehr als die vereinbarte Wochenarbeitszeit zu leisten.

Das heißt: Wenn ich nichts schriftlich habe, könnten Teammitglieder auch in der größten Not einfach heimgehen?
Nicht, wenn es eine echte Notsituation ist, es etwa einen Brand gab oder eine Überschwemmung. Dann wäre es Arbeitsverweigerung, angeordnete Überstunden nicht zu leisten. Ein akuter Personalmangel infolge einer Krankheitswelle dagegen wäre keine solche Notsituation. Dann könnten Teammitglieder Überstunden ablehnen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.

Was sollte ein Arbeitsvertrag zum Thema Überstunden konkret regeln?
Die Klauseln sollten klären: Wann können Überstunden angeordnet werden? Unter welchen Umständen – etwa auch bei Personalausfällen durch Krankheit oder Elternzeit sowie saisonale Auftragshochs? Außerdem wichtig: Wie werden Überstunden ausgeglichen, mit Geld oder Freizeit? Wie soll der Ausgleich konkret vonstattengehen, wann sollen Angestellte Überstunden etwa abbummeln können? Immer, sofern es die Kapazitäten zulassen? Innerhalb von drei Monaten? Es gilt: je konkreter, desto besser.

Die Expertin
Sandra Schiffgen ist Fachanwältin für Arbeitsrecht in der Kölner Kanzlei Wilde Beuger Solmecke (Wbs.legal).

Stichwort Vergütung: Gibt es einen Anspruch auf Überstundenzuschlag?
Nein. Normalerweise wird der durchschnittliche Stundenlohn gezahlt. Um diesen zu berechnen, nehmen Sie den Monatslohn mal 3, teilen das Ergebnis durch 13 und dann durch die vereinbarte Wochenstundenzahl. Ein Zuschlag, zum Beispiel 50 Prozent, kann aber natürlich die ­Bereitschaft zu Überstunden fördern – etwa im Einzelhandel, falls Personalmangel herrscht.

Was ist häufiger: der Ausgleich mit Freizeit oder die Vergütung?
Ich empfehle immer, beides anzubieten. Häufiger genutzt wird der Freizeitausgleich, insbesondere die jüngeren Mitarbeitenden freuen sich über einen freien Freitagnachmittag in der Regel mehr als über 100 zusätzliche Euro.

Wie viele Überstunden darf ich ­maximal anordnen?
Es gibt zwar keine festgeschriebene Obergrenze. Doch selbst wenn alle Seiten mit vielen Überstunden glücklich sein sollten – ausufern darf ihre Zahl nicht. Allein wegen des Arbeitszeit­gesetzes: Innerhalb eines halben Jahres dürfen Arbeitnehmende maximal 48 Wochenstunden geleistet haben. Laut Rechtsprechung gelten bei einer 40-Stunden-Woche daher etwa 15 Prozent Überstunden als zulässig. Diese dürfen übrigens auch pauschal über das Gehalt abgegolten werden. Alles, was über die 15 Prozent hinausgeht, müssen Sie aber einzeln vergüten.

Gilt das für alle Angestellten?
Für alle Angestellten, die „Normalverdiener“ sind. Als Orientierungspunkt kann die Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung dienen, aktuell liegt sie bei etwa 7500 Euro Gehalt im Monat. Nur bei Mitarbeitenden, die mehr verdienen, etwa Führungskräften oder einer angestellten Geschäftsführerin, können Sie vertraglich festlegen, dass sämtliche Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind.

Wie hoch darf die Anzahl der ­Überstunden sein?
Wieder gibt es keine starre Grenze. Aber: Sie dürfen die Zahl nicht willkürlich bestimmen, also nicht einfach mithilfe pauschal abgegoltener Überstunden die vereinbarte Wochenarbeitszeit von 40 auf 80 Stunden verdoppeln. Dagegen könnten Angestellte sicher erfolgreich vorgehen. Vielmehr sollten Sie wieder konkrete Anlässe für Überstunden definieren.

Ihre Erfahrung: Wie oft kommt es zu Prozessen wegen Überstunden?
Eher selten. Im Alltag herrscht beim Thema Überstunden häufig so ein stillschweigender Konsens, dass Überstunden und deren Ausgleich ein Geben und Nehmen sind. Problematisch wird es erst, wenn die Balance in eine Richtung kippt: wenn etwa ein Arbeitgeber über die Maßen Mehrarbeit anordnet, weil er schlecht geplant und damit die Not selbst verursacht hat. Aber selbst in solchen Fällen kommt es meist erst dann zu Prozessen, wenn das Arbeitsverhältnis endet – und Angestellte beispielsweise zahlreiche Überstunden ausbezahlt haben möchten.

Wie enden Prozesse typischerweise?
In etwa 80 Prozent der Fälle mit einem Vergleich, so meine Erfahrung. Der Grund: Vor Gericht müssen Arbeitnehmende für jede einzelne Überstunde nachweisen, dass diese angeordnet wurde. Abgesehen vielleicht vom Pflegebereich ist das so gut wie unmöglich! Im Arbeitsalltag geht ja niemand zum Chef oder zur Chefin und sagt: „Unterschreib mir hier, dass du am 3.2.2024 2,5 Überstunden angeordnet hast“.

Was ändert daran das Urteil des ­Bundesarbeitsgerichts, die Firmen zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet?
Nichts. Mitarbeitende müssen jetzt zwar dokumentieren, wann sie gearbeitet haben. Aber eine entsprechende Excel-Liste etwa beweist ja nicht, dass Überstunden nötig und angeordnet waren.

Angenommen, jemand reißt durch Überstunden die maximal erlaubten 48 Stunden pro Woche. Was droht?
Ein Bußgeld. In der Praxis habe ich das aber noch nie erlebt. Einfach, weil Angestellte vor Gericht gehen und jede Überstunde einzeln nachweisen müssten – selbst aber kaum einen Nutzen davon hätten.

Klingt, als wären die Gesetze zu Überstunden günstig für Arbeitgebende?
Ja. Die Nachweispflicht für Mitarbeitende verhindert, dass diese aus eigenen Stücken mit dem Geld der Arbeitgebenden spielen. Etwa, indem sie beispielsweise drei Stunden mehr aufschreiben pro Woche, um mehr Gehalt zu bekommen – ohne dies vorher abzustimmen.

Was ist Ihr abschließender Tipp für ­Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber?
Sich meinen ersten Tipp wirklich zu Herzen zu nehmen, also den Arbeitsvertrag mit einer Anordnungsbefugnis und konkreten Praxisbeispielen zu formulieren. Sie müssen dann im Alltag nicht nachdenken, was Sie in Sachen Überstunden jetzt wohl dürfen und was nicht. Und können bei Konflikten sagen: „Hey, schau in den Vertrag, da steht alles drin, und daran halte ich mich.“

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