Sally Özcan
Sallys immer größer werdende Welt

Saliha Özcan startete mit Backvideos auf ihrem Youtube-Kanal „Sallys Welt“. Doch die Influencer-Rolle war ihr zu klein. Özcan führt heute eine Firma mit rund 150 Angestellten. Wie hat sie das geschafft?

11. Dezember 2023, 10:10 Uhr, von Christoph Henn

Salihan Özcan machte aus ihrem Hobby ein erfolgreiches Geschäftsmodell
Salihan Özcan machte aus ihrem Hobby ein erfolgreiches Geschäftsmodell
© Unternehmen

Wer die Albert-Einstein-Straße der 20.000-Einwohner-Stadt Waghäusel zwischen Karlsruhe und Mannheim bis zum Ende fährt, landet gefühlt in einer anderen Welt: „Sallycon Valley“ steht in dicken Lettern an der Auffahrt zu einem 8000 Quadratmeter großen Areal. Darauf steht ein moderner Gebäudekomplex aus hellem Backstein und dunklem Schiefer, umgeben von Zypressen und anderen mediterranen Pflanzen. Hier lebt und arbeitet die Unternehmerin Saliha Özcan, bekannt als Sally aus dem erfolgreichsten deutschen Youtube-Kanal „Sallys Welt“ rund um Backen und Kochen. In dem Ort ist die 35-Jährige aufgewachsen, hier hat sie auch ihre Firma aufgebaut.

Was auf den ersten Blick ein bisschen größenwahnsinnig wirken mag, passt bei näherem Hinsehen zu dem, was Sally ausmacht. Sie hat gemeinsam mit ihrem Mann Murat Öczan ein kleines Medien- und Handelsimperium mit einer starken Marke aufgebaut, das einen zweistelligen Millionenumsatz erzielt und rund 140 Menschen beschäftigt.

Die beiden sind Meister in der Entwicklung und Vermarktung eigener Ideen und Innovationen. Ihr Beispiel zeigt: Wer sich traut, groß und über den bestehenden Erfolg hinaus zu denken, kann Ziele erreichen, die für Außenstehende vermessen wirken.

Erstes Backvideo von Sally wird 1000-mal aufgerufen

2012 waren die Ziele für die Öczans noch ganz andere: Murat arbeitete in verschiedenen Jobs, unter anderem auf dem Bau. Sally war Studentin für Grundschullehramt. Hauswirtschaft war eines ihrer Fächer und ihre Leidenschaft. Weil viele ihrer Freundinnen sich mit der Zubereitung von Hefeteig schwertaten, filmte sie sich mit Tischstativ und simpler Kamera beim Backen eines Nusszopfes.

Sie drehte vier Versionen, schnitt die Aufnahmen mithilfe einer Anleitung aus dem Internet aneinander und stellte den Clip bei Youtube und Facebook ein. Zu ihrer Überraschung erreichte sie damit nicht nur ihre Freundinnen: Am nächsten Morgen hatte das Video mehr als 1000 Aufrufe.

Mann Murat sorgte sich um die Kosten für die Backzutaten

„Das kann ja richtig groß werden“, erkannte die damals 23-Jährige und investierte zum ersten Mal in Wachstum: Sie kaufte sich eine bessere Kamera und drehte immer neue Videos. Ihr Mann Murat war anfangs zwiegespalten: Einerseits freute er sich über Sallys wachsende Internetbeliebtheit, andererseits machte er sich Sorgen ums Geld. Die Backzutaten für die oft aufwendig gestalteten Torten schlugen aufs Budget der jungen Familie.

Das änderte sich, nachdem die Öczans herausfanden, wie sich Geld mit den Videos verdienen lässt. Als Sally mehr als 1000 Abonnenten bei Youtube erreichte, kam sie für das Partnerprogramm der Plattform infrage. Seither verdient sie an den Anzeigenerlösen mit, die Youtube etwa mit Werbeclips generiert, die im Umfeld ihrer Videos laufen.

Mittlerweile ist Sally die erfolgreichste Food-Influencerin des Landes – wobei sie diesen Begriff selbst nicht verwendet. Sie nennt sich „Food Creator“, und die Videos, in denen sie Kulinarisches vom Fladenbrot bis zur Harry-Potter-Motivtorte kreiert, erreichen monatlich insgesamt 50 bis 100 Millionen Aufrufe über Kanäle wie Youtube, Pinterest, Facebook, Instagram und Tiktok.

Die Öczans denken größer als andere, unternehmerischer

Viele Social-Media-Stars begnügen sich damit, Geld über Reichweiten und die damit verbundenen Werbeeinnahmen zu verdienen. Die Özcans stellten sich jedoch schon kurz nach dem Youtube-Erfolg Fragen, wie: Warum nur für Produkte werben, wenn man übers Internet selbst zum Händler werden kann? Können wir nicht noch Größeres erreichen? Vor allem Murat ist die treibende Kraft, der oft im Hintergrund bleibt und den Sally als „chaotischen Visionär“ bezeichnet. „Wir waren von Anfang an mutig, hatten keine Angst, Neues auszuprobieren“, erzählt Sally.

Bereits ein Jahr nach dem ersten Video fing das Ehepaar an, nach Herstellern von Haushaltswaren wie Kuchenformen, Küchenmaschinen oder Kochutensilien zu suchen, die zu Sallys Backvideos passen. Weil ihr Kanal erfolgreich war, fanden sie relativ leicht kooperationswillige Unternehmen, Partner sind heute unter anderem Bosch, Kitchenaid und Nobilia. Bereits im selben Jahr, 2013, konnte „Sallys Shop“ online gehen.

Lieferantenkredite helfen beim Start

Als auch dieser lief, peilten die Öczans die nächsthöhere Stufe an: Warum nur die Produkte anderer Unternehmen verkaufen, wenn sich die Marge mit einer eigenen Marke deutlich mehr steigern lässt?

Sally und Murat gingen auf die Suche nach Geschäftspartnern, die für sie Back- und Kochequipment fertigen können. Sie recherchierten im Internet, auf Messen und besuchten Hersteller, zunächst vor allem in der Region, später auch in der Türkei. Ein mühsamer Prozess, nicht nur weil beide bei der Beschaffung von Ware null Erfahrung hatten.

Obwohl Sally laufend Werbeeinnahmen durch die Videos generierte, konnte das junge Unternehmen finanziell nicht aus dem Vollen schöpfen. „Wir hatten keinerlei fremdes Kapital“, sagt Sally, „wir mussten aus eigener Kraft wachsen.“ So wurden Lieferantenkredite zu einem wichtigen Teil ihrer Strategie: Schon die ersten eigenen Markenprodukte kauften sie mit 30 Tagen Zahlungsziel ein. Bevor die Rechnungen fällig wurden, hatten sie die Ware zu Geld gemacht. Gewinne investierten sie in neue Technik, wodurch die Videos qualitativ besser wurden und so höhere Reichweiten erzielten. Das wiederum kurbelte den Verkauf neuer Produkte an.

2500 Artikel umfasst heute das Sortiment im Onlineshop, die meisten werden unter der eigenen Marke verkauft. „Sallys“ heißt sie. Der Name steht in weißer Schreibschrift auf einer pinkfarbenen Manschette.

„Sally hat fast die gesamte Wertschöpfungskette im Griff“

Dass die Unternehmerin sich nicht mit der „bequemen“ Einkommensquelle aus Werbeeinnahmen zufriedengegeben hat, ist aus Sicht des Markenexperten und Professors Karsten Kilian „bemerkenswert“. Er lehrt an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, wurde durch Studierende auf „Sallys Welt“ aufmerksam und verfolgt aus beruflichem Interesse seither die Entwicklung der Firma. „Sally hat mit Produktentwicklung, Marketing und Vertrieb fast die gesamte Wertschöpfungskette im Griff“, sagt Kilian.

Das mache sie von anderen Unternehmen unabhängig. Dank eigener Website, App, eigenem Podcast und Printkatalog hat sie direkten Zugang zu vielen Kundinnen und Kunden – und ist nicht auf Gedeih und Verderb den Algorithmen und Vorgaben der dominierenden Social-Media-Plattformen ausgeliefert.

Eine weitere Herausforderung war, mit dem Wachstum des Unternehmens neue Strukturen aufzubauen und anzupassen. Auch hier ging das Unternehmerehepaar mangels Ressourcen Schritt für Schritt vor. „Wir haben immer darauf geachtet, uns nicht zu übernehmen“, sagt Sally.

9000 Quadratmeter Lagerfläche – mit Option auf Erweiterung

Zum Beispiel beim Aufbau der Logistik war anfangs viel Improvisation gefragt: Das erste Lager war in dem leer stehenden Kinderzimmer im Haus eines Freundes untergebracht. Nach sechs Monaten mieteten die beiden eine alte Backstube mit 60 Quadratmetern. 2016 zog Sallys Ware in ein 468 Quadratmeter großes, ehemaliges Elektrogeschäft um. Seit 2020 ist das Lager in einer Halle in Sulz am Neckar untergebracht – mit einer Hauptlagerfläche von 9000 Quadratmetern und Erweiterungsoptionen. Der Herr der Lager und Logistik ist über all die Jahre übrigens Murats Freund Saban, jener, der 2013 das leer stehende Kinderzimmer zur Verfügung stellte.

Auch das personelle Wachstum steuert das Unternehmerehepaar strikt nach Bedarf. „Um uns nicht zu übernehmen, haben wir immer nur Stellen aufgebaut, die wir wirklich benötigten“, sagt Sally. Wichtiger als die Zahl der Mitarbeitenden ist ihnen, welche Kompetenz die Leute mitbringen: Wer neu dazukommt, soll etwas besser oder anderes können als die bestehenden Teammitglieder.

Auch hierbei denken die Öczans groß: 2019 staunte die Marketing-Fachwelt, als es ihnen gelang, einen Digitalmarketing-Leiter von Lidl abzuwerben. Seit 2021 kooperiert die Firma auch mit dem Discounter, für den Sally Rezeptvideos dreht und der Backzutaten unter ihrem Namen verkauft.

70 Prozent ihrer Zeit investiert Sally in Inhalte

Der Handel mit den Back- und Kochprodukten macht mittlerweile einen Großteil des Umsatzes aus, aber der Verkauf wird angetrieben durch den Erfolg der reichweitenstarken Kanäle. So ist nach wie vor der Kern des Geschäftsmodells von Sallys Welt die Erstellung von Inhalten. Die Firma produziert laufend Videos, Kurz-Clips und Fotos mit Tipps rund ums Backen, Kochen, aber auch zu den Themen Erziehung sowie Haus und Garten.

Viele Unternehmen würden dafür externe Agenturen beauftragen, die Özcans aber geben die Aufgabe nicht aus der Hand. Sie produzieren alles mit dem eigenen Team in Waghäusel. Im Sallycon Valley befindet sich die bekannte Studioküche, hier arbeitet der kreative Teil der Belegschaft, darunter Kameraleute, Cutter, Fotografinnen, Grafikdesigner und Texterinnen. „Für uns lohnt es sich, das selbst zu machen, weil wir sehr viel Bedarf an Inhalten haben“, sagt Sally.

Rund 70 Prozent ihrer Arbeitszeit steckt die Chefin nach eigener Schätzung in die Produktion von Content, 30 Prozent in die Entwicklung und den Vertrieb ihrer Produkte. Dabei kurbeln nicht nur die Videos und Fotos auf Youtube und anderen sozialen Medien das Geschäft an. Sally tritt auch in TV-Sendungen auf. Mit Murat produziert sie zudem einen Podcast sowie einen mehr als 400 Seiten dicken Produktkatalog. Auch im Webshop und im Flagshipstore in der Mannheimer Innenstadt fällt auf, wie ausführlich Artikel, Produktkategorien, aber auch Beziehungen zu Lieferanten beschrieben werden. Geld für klassische Werbung braucht die Firma nicht auszugeben.

„Marken haben Geschichten, und Geschichten inspirieren“, sagt Professor Kilian mit Blick auf die große Bedeutung, die Storytelling in Sallys Marketing hat. Dass sie dafür auch analoge Kanäle nutzt, hält er für den richtigen Weg. Der Markenexperte beobachtet eine „Renaissance der physischen Markenführung“, mit der Firmen in einer zunehmend digitalen Welt bei Verbrauchern bleibenden Eindruck hinterlassen können, etwa mit einem Katalog, in dem man mit Muße blättert und der auch mal eine Weile auf dem Couchtisch liegen bleibt.

Was unterscheidet ihre Produkte von denen der Konkurrenz? Ist es nicht schwierig, sich mit Neuheiten abzuheben? Neue Ideen kommen der Unternehmerin oft in der Küche, wenn ihr beim Backen oder Kochen etwas fehlt. Dann denkt sie häufig: Das muss doch auch anders gehen. Erst neulich: Seit Langem regt sie sich darüber auf, dass sie Lasagneplatten vor dem Backen immer übereinanderlegen oder in Form brechen muss. „Warum gibt es eigentlich keine Auflaufform, die an die Maße der handelsüblichen Lasagneplatten angepasst ist?“, fragte sie sich und schickt sich nun an, diese Marktlücke mit einer eigenen Auflaufform zu schließen.

So hat sie schon einige neue Produkte auf den Markt gebracht. Einen kleinen Hieb in Richtung Konkurrenz kann sich Sally nicht verkneifen: „Ich glaube, unsere Wettbewerber backen einfach nicht selbst“, sagt die Unternehmerin. „Zumindest aber nutzen sie ihre Produkte nicht so intensiv wie wir unsere.“

In zwei Wochen neue Produkte herausbringen

Ein weiterer Vorteil, den die Özcans gegenüber der Konkurrenz für sich reklamieren, ist Geschwindigkeit. „Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen“, sagt Murat. Er meint damit die Agilität und Flexibilität des Unternehmens und seiner Produktionspartner, Ideen schnell umzusetzen. Der persönliche Go-to-Market-Rekord liegt bei zwei Wochen: Das Unternehmerpaar hatte kurzfristig entschieden, zum Valentinstag herzförmige Silikonformen ins Sortiment zu nehmen. Die Muster produzierten sie selbst per 3D-Drucker. Und während ein Lieferant die Form im Eiltempo in Serie herstellte, entwickelte das Kreativteam in Waghäusel passende Fotos und Produktverpackungen.

Ebenso wichtig ist es den Öczans, schnell auf die richtigen Trends zu setzen. Die Hauptrecherchequelle dafür sind die sozialen Medien, vor allem Tiktok. Sally veröffentlicht dort nicht nur Videos, sie und vor allem die jüngeren Mitglieder ihres Teams beobachten permanent, was bei der Generation Z, der Hauptzielgruppe von „Sallys Welt“, gerade Hype ist. Das kann eine besondere Süßspeise aus Asien sein, ein angesagtes Design oder ein Film: Kurz vor dem Kinostart von Barbie verwarf Sally etwa lange im Voraus entwickelte Drehpläne und produzierte stattdessen mehrere Videos, in denen die Torten und Süßteile einen hohen Pinkanteil haben.

„Um Trends passgenau aufzugreifen, müssen wir spontan sein und dürfen keine Angst davor haben, kurzfristig Pläne umzuwerfen“, sagt Sally. Bei den Barbie-Rezepten jedenfalls ging die Strategie auf. Binnen wenigen Tage erreichte ein Backvideo zu pinkfarbenen Zimtschnecken allein bei Youtube mehr als 100 000 Aufrufe – und damit auch viel Aufmerksamkeit für Sallys Silikonbackmatte, Sallys Vanilleextrakt und die anderen Produkte, die sie bei der Zubereitung im Sallycon Valley verwendete.

Nächster Schritt: Die „Sallycon City“ in Waghäusel

Apropos Sallycon Valley: Professor Karsten Kilian hält diesen Namen nicht für überheblich, sondern für cleveres Marketing. „Selbstbewusstsein schadet nicht, auch und gerade beim Branding“, sagt er und nennt den Autobauer Tesla als Beispiel: Deren Gründer Elon Musk machte selbst Fabriken als „Gigafactories“ zur eindrucksvoll klingenden Marke.

Sally und Murat wiederum denken gerade wieder ein bisschen größer, über das Sallycon Valley hinaus. Ihre nächste Vision heißt „Sallycon City“: Entstehen soll ein klimaneutraler Komplex mit Geschäften für ihre Marken, einem Bildungscampus und Unterkünften für Werkstudenten – natürlich in Waghäusel.

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