Work-Life-Blending
„Dass man am Ende nur noch arbeitet, ist eine echte Gefahr“

Arbeiten auf dem Beifahrersitz. Arbeiten im Café. Arbeiten am Spielfeldrand, während die Kinder Sport machen. Ist es gut, wenn Arbeit und Leben verschmelzen? Ein Erfahrungsbericht über Work-Life-Blending.

1. September 2024, 07:00 Uhr, von Nicole Basel, Chefredakteurin

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Nicole Basel
impulse-Chefredakteurin Nicole Basel praktizierte schon Work-Life-Blending, als sie noch gar nicht wusste, dass es dafür einen Begriff gibt.
© impulse

Neulich las ich auf LinkedIn ein Posting einer Frau, die selbst im Homeoffice ihr Poloshirt mit Firmenlogo anzieht. Wenn sie mit der Arbeit fertig sei, wechsle sie in Freizeitklamotten, schrieb sie. So ziehe sie eine ganz klare Grenze, wann sie arbeitet und wann das Privatleben anfängt.

Ich kann ihrer Strategie durchaus etwas abgewinnen. Mein eigenes Leben aber sieht komplett anders aus: Ich habe Arbeit und Privatleben in eine Schüssel geworfen und zu einem Brei verrührt. Das war keine Strategie, es hat sich so ergeben. Aber es ist schön, dass andere für meinen Lebensstil ein Wort gefunden haben (dadurch sieht es so aus, als hätte ich ein Konzept): „Work-Life-Blending“ heißt die Art, wie ich lebe und arbeite, auf Neudeutsch.

Work-Life-Blending in der Praxis

Mein Work-Life-Blending so aus:

Meine Arbeit dringt in mein Privatleben ein:

  • Ich arbeite in der Regel einmal pro Woche für eineinhalb Stunden im Fußballvereinsheim, während meine Kinder Training haben.
  • Ich arbeite in der Cafeteria des Schwimmbads, während die Kinder beim Schwimmkurs sind.
  • Ich arbeite abends am Küchentisch, während ein paar Meter weiter der Rest der Familie Fernsehen guckt.
  • Ich telefoniere mit meinem Chef, während ich das Abendessen für die Familie koche (er äußert dann manchmal die Sorge, dass ich das Telefon in den Kochtopf fallen lasse).
  • Ich arbeite manchmal als Beifahrerin auf langen Autofahrten mit der Familie.
  • Ich arbeite oft samstags oder sonntags, wenn sich irgendwo ein Zeitfenster ergibt.
  • Wenn ich meine Eltern besuchen möchte, die über 900 Kilometer weit weg wohnen, dann arbeite ich von dort aus.

Mein Privatleben dringt in meine Arbeit ein:

  • Ich hole meine Kinder oft um 15 Uhr von der Schule ab und bin dann mit ihnen zusammen, bis sie ins Bett gehen.
  • Ich kann sie zu ihren Freizeitaktivitäten begleiten, während andere noch bei der Arbeit sind.
  • Ich kaufe manchmal um 10 Uhr ein, wenn es im Supermarkt komplett leer ist, ohne jemanden um Erlaubnis fragen zu müssen.
  • Ich mache während der Arbeitszeit einen Spaziergang, wenn ich das Gefühl habe, den Kopf frei bekommen zu müssen.

Vorteile von Work-Life-Blending

Für mich bringt das wesentliche Vorteile mit sich: Ich bin weniger gestresst, weil ich nicht das Gefühl habe, alles in einem festen Zeitplan unterbringen zu müssen. Hätte ich nicht die Flexibilität, Arbeits- und Privatleben zu mischen, könnte ich kaum Vollzeit arbeiten und gleichzeitig für meine Familie da sein. Und: Ich muss in meinem Job oft kreativ sein. Das funktioniert für mich viel besser außerhalb der normalen Büroarbeitszeiten. (Diesen Text habe ich je zur Hälfte im Fußballclub und im Zug geschrieben.)

Und trotzdem ist Work-Life-Blending kein Konzept, das immer und für jeden funktioniert.

Herausforderungen und Nachteile von Work-Life-Blending

Damit Work-Life-Blending funktioniert, müssen meiner Erfahrung nach folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Man muss abends abschalten können: Ich arbeite oft noch kurz bevor ich schlafen gehe. Wer sich mit gesundem Schlaf beschäftigt, weiß, dass das nicht optimal ist. Ich kann aber den Laptop zuklappen und dann sehr schnell die Arbeit komplett vergessen. Dann klappt es auch mit dem Einschlafen.
  • Man muss tagsüber abschalten können: Die Mitmenschen merken es meiner Erfahrung nach sofort, wenn man den Laptop zwar zugemacht hat, aber mit dem Kopf noch beim Ärger im letzten Teammeeting ist. Beim Work-Life-Blending hat man oft keinen Nachhauseweg, auf dem man runterkommen kann. Aber es bringt nichts, Zeit mit Partner oder Kindern zu verbringen, wenn man ihnen kaum zuhört. Lernt man es daher nicht, sehr schnell die Arbeit im Kopf beiseiteschieben zu können, dann ist man mental nur noch am Arbeiten. Das ist eine echte Gefahr.
  • Feste Absprachen mit der Familie: Meine Familie profitiert von meiner Flexibilität – aber sie muss auch damit klarkommen, dass meine Arbeit in unser Leben eindringt. Und ja: Das sorgte in der Vergangenheit schon für Ärger. Daher braucht es feste Absprachen: In welchen Situationen ist es okay, dass ich arbeite und es stört niemanden (zum Beispiel auf langen Autofahrten auf dem Beifahrersitz oder im Fußballclub). Und wann lasse ich den Laptop komplett zu (zum Beispiel im Urlaub).
  • Feste Absprachen mit sich selbst: Die Gefahr beim Work-Life-Blending ist aus meiner Sicht, dass man viel zu viel arbeitet. Daher ist es eine gute Sache, mit sich selbst Vereinbarungen zu treffen, wann es auch mal gut ist.
  • Organisationstalent und Übersicht: Das ist meine persönlich größte Herausforderung. Wenn man Privatleben und Arbeit mischt, muss man noch mehr gleichzeitig im Blick haben, damit man nicht an zwei Orten gleichzeitig erwartet wird.
  • Eine flexible Arbeitszeitsoftware: Wir haben bei impulse Arbeitszeitkonten, und die Software, die wir nutzen, lässt quasi jedes denkbare Arbeitszeitmodell zu. Ich kann mich täglich so oft ein- und auschecken, wie ich möchte.
  • Keine Millimetergenauigkeit bei der Arbeitszeit: Ich wechsle oft so häufig zwischen Arbeit und Privatleben hin und her, dass es unmöglich ist, das immer genau zu erfassen. Das muss für alle Seiten okay sein.

Übrigens: Häufig wird kritisiert, dass solche Lebenskonzepte wie meines nur für Bürotätigkeiten funktionierten. So entstehe eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, weil Taxifahrer, Handwerker oder Ärztinnen weiter im Schichtdienst mit festen Arbeitszeiten arbeiten müssten. Das stimmt natürlich. Und daher hat es mich sehr gefreut, was meine Friseurin neulich erzählte: „Manche Kunden holen hier ihren Laptop raus und arbeiten dann, während die Strähnen einziehen. Oder sie kommen am Vormittag und arbeiten dann abends noch.“ Sie profitiere indirekt von der Flexibilität der anderen. „Für mich ist das super, ich muss jetzt nicht mehr bis 20 Uhr hier stehen“, sagt sie. Beim Friseur zu arbeiten, auf diese Art des Work-Life-Blending bin übrigens noch nicht einmal ich gekommen.

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