Weglassen üben
Wie Sie souveräner loslassen – und Unsicherheit als Ressource nutzen

Ein Blick auf die eigene Persönlichkeit hilft, Ballast abzuwerfen und erfolgreicher zu sein, meint Thomas Schöller, Psychologe und systemischer Organisationsberater. Wie genau, erklärt er im Interview.

29. Mai 2024, 11:05 Uhr, von Kathrin Halfwassen, Redakteurin

Knoten aus bunten Schnüren auf giftgrünem Hintergrund.
Sich im Weglassen zu üben und von Routinen zu lösen, fühlt sich nach Kontrollverlust an – macht das Leben aber leichter.
© Marie Hickman / Stone / Getty Images

impulse: Herr Schöller, warum fällt es Menschen so schwer, etwas wegzulassen?
Thomas Schöller: Das hat viel mit der menschlichen Psyche zu tun. Wir wollen laufend besser werden, uns weiterentwickeln. Weiterentwicklung verbinden wir immer mit dem Aufbau von neuem Wissen und neuen Fähigkeiten. Damit, Neues zu erlernen. Bei Erwachsenen geht es aber meist um ein Umlernen, besser noch Verlernen.

Das bedeutet auch, Altes loszulassen. Was vielen schwerfällt, weil es ein Kontrollverlust ist, Routinen gefährdet werden und alte Überzeugungen infrage gestellt ­werden müssen. Hinzu kommt das Gefühl, in der Vergangenheit etwas falsch gemacht zu haben.

Und: Es ist auch eine Frage der persönlichen Grund­orientierung, wie gut jemand loslassen kann.

Inwiefern?
Wenn bei Ihnen etwa die Persönlichkeitsmerkmale „Ordnung“ und „Struktur“ stark ausgeprägt sind, werden Sie sich schwerer damit tun als ein offener, veränderungsliebender und visionärer Mensch. Diese Person wird dann aber andere Herausforderungen haben – etwa weil sie möglicherweise den Drang hat, ihr Unternehmen jeden Tag neu zu erfinden, und damit die Angestellten überfordert.

Sie sollten überlegen: Wie kann ich das Fehlende aufbauen? Oder aber – was meist einfacher ist –, sich gute Leute ins Boot holen, die das, was Sie nicht haben, gut abdecken.

Und wenn beide Merkmale gleichermaßen stark ausgeprägt sind?
Dann werden Sie starke innere Konflikte bemerken, zwischen dem Wunsch, Altes beizubehalten, und dem, neue Pfade zu suchen. Das muss kein Problem sein – Sie müssen es nur wieder reflektieren und lernen, auf diesem Spannungsbogen souverän zu schwingen. Also zu überlegen: Von welcher Eigenschaft braucht es gerade mehr?

Inwieweit fällt Unternehmerinnen und Unternehmern Weglassen besonders schwer?
Die Fähigkeit zum Loslassen hängt viel mit Glaubenssätzen zusammen: Sie sind ja die Basis dafür, welche Entscheidungen wir treffen und wie wir im Alltag agieren. Als Coach begegnen mir bei Unternehmerinnen und Unternehmern häufig Glaubenssätze,wie: „Ich muss immer Neues lernen, um noch effizienter zu werden“; „Wenn ich nicht alles selber im Blick habe, geht das Unternehmen den Bach runter“; „Ich darf keine Fehler machen“; „Nur wenn ich Top-Leistungen bringe, werde ich geliebt“. Solche Glaubenssätze erschweren Loslassen enorm – auf vielen Ebenen.

Wie genau?
Effizienz ist ein gutes Ziel in einer komplizierten Welt, in der Dinge vielleicht vielfältig sind und Maschinen aufwendig konstruiert, sich mit fach­licher Expertise Zusammenhänge und Entwicklungen aber gut berechnen und Probleme lösen lassen. Heute ist die Welt aber nicht kompliziert, sondern komplex: Markt und Kundenbedürfnisse entwickeln sich immer schneller, es gibt nur noch selten richtig oder falsch, Dinge, die sich widersprechen, können alle richtig und wichtig sein.

Haben Sie ein Beispiel?
Nehmen Sie Vertrauen und Kontrolle: Wenn Sie heute ein Unternehmen führen, brauchen Sie beides. Wer sich mit dem Loslassen schwertut, hat meiner Erfahrung nach aber den Drang, möglichst alles möglichst umfassend zu kontrollieren und nach 100 Prozent zu streben. Wenn Sie aber erst zehn Kundenbefragungen machen und fünf Prüfschleifen einbauen, ehe Sie ein Produkt einführen, dann haben Sie zwar im besten Fall ein perfektes Produkt. Sie sind aber unter Garantie zu langsam!

Es führt also kein Weg daran vorbei, mehr Zeit in die Selbstführung zu investieren und sich von ungünstigen Glaubenssätzen zu lösen. Sonst hängen Sie in einer Bequemlichkeit fest, die es Ihnen unmöglich macht, Ihr Unternehmen an die ständigen Veränderungen anzupassen.

Bequemlichkeit klingt hart …
So ist es nicht gemeint. Sich mit Glaubenssätzen zu befassen und damit, wie sie die eigene Unternehmensführung beeinflussen, berührt die Identität. Und führt zur Frage: Wenn ich mich von dem verabschiede, auf das ich bisher gebaut habe – wer bin ich dann? Das kostet Zeit, ist extrem anstrengend und verunsichert. Aber: Genau diese Unsicherheit ist eine wertvolle Ressource.

Warum genau ist Unsicherheit wertvoll?
Weil Menschen dann viel aufmerksamer und ­kreativer sind, als wenn sie Routinen folgen. Wir können heute kaum noch im Vorhinein abschätzen, ob eine Entscheidung richtig ist oder falsch – oft nicht mal im Rückblick.

Wer sich darauf ­einlassen kann und einfach mal macht, also beispielsweise etwas weglässt, wird schneller lernen und langfristig erfolgreicher sein als ein Mensch, der sehr von sich überzeugt ist. Denn so eine Person hat stets das Gefühl, alles richtig zu ­machen, und verlässt gewohnte Pfade nicht. Beim Zähneputzen ist das sinnvoll, nicht aber, wenn Sie heute ein Unternehmen führen.

Haben Sie ein Beispiel aus dem Alltag?
Die meisten Betriebe finden – anders als früher – nur noch schwer gute Leute. Trotzdem suchen viele nach dem klassischen Muster: „Ich will Leute mit dieser oder jener Ausbildung – und in Vollzeit.“ Sie schrauben dann vielleicht das Gehalt hoch, aber es wird immer einen größeren Wettbewerber geben, der noch mehr zahlt.

Einer meiner Kunden hat dann entschieden: Wir sprechen jetzt gezielt Menschen an, die vielleicht nur halb gut ausgebildet sind und in Teilzeit arbeiten wollen. Sich derart von alten Ansprüchen zu lösen und die Personalstrategie zu ändern, verunsichert, klar. Aber sie macht eben auch kreativ.

Der Kunde hat dann überlegt, wie er Menschen ­während der Arbeit klug weiterbilden kann, wie sich eine Vollzeitstelle gut auf zwei Mitarbeitende verteilen lässt – und wie ein Umfeld aussehen müsste, in der Menschen mit kleinen Kindern gut arbeiten, etwa mit einer Krabbelgruppe im Unternehmen. Dieser Betrieb hat inzwischen keine Probleme mehr, motiviertes Personal zu finden.

Das klingt natürlich schlüssig. Aber wenn es mir nun mal extrem schwerfällt, Dinge ­wegzulassen – was macht es mir leichter?

Stellen Sie sich darauf ein, dass jedes Loslassen nun mal mit unangenehmen Gefühlen einhergeht und dass das normal ist. Sich beispielsweise von einem Produkt trennen, das Sie vor Jahren gegen ­Widerstände eingeführt haben, kann Scham ­ver­ursachen. Einen Großkunden gehen zu lassen macht Angst.

Solche Emotionen passen für viele nicht zu ihrem Rollenbild von sich als Person, die aus einer Stärke und Sicherheit heraus alles vorantreibt. Dabei sind diese Gefühle keine Schwäche, im ­Gegenteil! Statt der Fehlervermeidungskultur, in der wir alle sozialisiert sind, brauchen wir heute eine Fehlerwiedergutmachungskultur: Wir müssen schnell Dinge ausprobieren, Fehler machen, diese zugeben – und weiter probieren.

Der Experte
Thomas SchöllerThomas Schöller ist Inhaber der Wiener Unternehmensberatung Trainconsulting und coacht Führungskräfte als Sparringspartner unter anderem im Umgang mit ungünstigen Glaubenssätzen.

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