Selbstfürsorge lernen
Mehr Ich wagen! Wie Sie Selbstfürsorge im Alltag verankern – und mehr schaffen

Eltern, Kinder, das Team – viele Menschen sorgen sich um das Wohlergehen anderer. Dabei sollten Sie zunächst eigene Bedürfnisse in den Blick nehmen. Wie Sie Selbstfürsorge lernen: Ideen und Beispiele.

25. August 2024, 05:13 Uhr, von Leonie Albrecht und Kathrin Halfwassen

Eine Person mit Strohhut liegt in einem Feld aus Löwenzahn-Blumen
"Was für ein doofes Reisekatalog-Bild!" Denken Sie etwas in der Art? Dann sollten Sie wahrscheinlich Selbstfürsorge lernen.
© Jake Wyman / The Image Bank / Getty Images

Was genau ist Selbstfürsorge laut Definition?

Eine offizielle Definition für Selbstfürsorge laut Psychologie gibt es nicht. „Selbstfürsorge lässt sich nur beschreiben. Als ein ganzheitlicher, umfassender Weg, sich gut um das eigene Wohl zu kümmern“, sagt Andrea vorm Walde, Psychotherapeutin und Business-Coachin mit dem Schwerpunkt Persönlichkeitsentwicklung in Hamburg.

Warum sollte jeder Mensch Selbstfürsorge lernen?

„Nur, wer sich gut um sich selbst kümmern kann, ist in der Lage, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und befriedigen. Und das ist die Basis, um im Alltag eigenverantwortlich zu handeln und selbstbewusst Grenzen zu setzen“, sagt vorm Walde.

Selbstfürsorge verhindert damit der Expertin zufolge, in die Opferrolle zu geraten. Denn wer selbstfürsorglich ist, erwartet nicht, dass andere erkennen müssten, was man braucht – und wo die eigenen Grenzen liegen. Sondern tritt selbst für sich ein.

Dadurch bildet Selbstfürsorge eine Voraussetzung für Resilienz. „Wenn Menschen auf sich achten, können sie den Widrigkeiten im Leben souverän begegnen“, so die Expertin. Diese Widrigkeiten müssten nicht direkt schwere Schicksalsschläge sein, auch die aktuellen politischen Krisen etwa gehörten dazu. Dafür gewappnet zu sein, stärke die Gesundheit und helfe Menschen, ausgeglichen und zufrieden zu leben, aber auch produktiv zu sein und ihre Ziele zu erreichen.

Ein letzter Grund dafür, Selbstfürsorge zu lernen: „Wer die eigenen Bedürfnisse im Blick behält, gestaltet sich den Alltag so, dass dieser nicht alle Energie raubt. In der Folge können wir uns dann auch gut um andere Menschen kümmern – ohne uns dabei zu überfordern“, so vorm Walde.

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Wieso müssen so viele Menschen Selbstfürsorge noch lernen?

Es gibt viele Gründe, warum Menschen nicht ausreichend für sich sorgen, so die Resilienz-Expertin. Zwei Motive begegnen ihr immer wieder – besonders bei Unternehmerinnen und Unternehmern.

  1. „Wir müssen etwas schaffen“

Menschen mit einer ausgeprägten Leistungsorientierung verspüren den Druck, ständig etwas erreichen zu müssen, und geben privaten Themen wenig Raum. Dabei vernachlässigen sie auch ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen.

  1. „Ich kann meine Mitmenschen nicht im Stich lassen“

Insbesondere Personen mit einem starken sozialen Gewissen empfinden laut vorm Walde Selbstfürsorge als egoistisch. Eigentlich, so der Gedanke, sollten Menschen sich um andere kümmern, statt sich nur auf sich selbst zu fokussieren. Die Probleme der anderen haben dann Priorität vor den eigenen Bedürfnissen.

Mehr Selbstfürsorge im Alltag: Übungen, Tipps und Beispiele

Es gibt Hunderte Selbstfürsorge-Methoden und Selbstfürsorge-Ideen. Die Expertin rät: „Man sollte einfach viel ausprobieren. Und dann das als Routinen im Alltag verankern, was einem wirklich guttut.“

Wichtig dabei: alle Bereiche des Lebens und die fünf Ebenen der Selbstfürsorge in den Blick nehmen. Selbstfürsorge im Beruf etwa ist genauso wichtig wie Selbstfürsorge in der Freizeit. Dabei gilt es, möglichst dem Prinzip des Ausgleichs zu folgen: Wer also tagsüber ständig auf den Beinen war, freut sich womöglich mehr über kreative oder entspannende Tätigkeiten am Abend. Wer dagegen eher am Schreibtisch saß, dem tut ein bisschen Bewegung wahrscheinlich gut. „Wichtig ist, dass Selbstfürsorge nicht zu einem weiteren To-do wird, das Sie erledigen müssen, sondern wirklich Spaß macht“, rät Psychotherapeutin vorm Walde.

Selbstfürsorge lernen, Schritt 1: Die Bestandsaufnahme

Selbstfürsorge lernen bedeutet zunächst, mehr über sich selbst zu erfahren und zu schauen, wie gut man Bedürfnisse im Alltag aktuell bereits im Blick hat und befriedigt. Das gelingt leicht über Fragen wie diese:

  • Inwieweit kümmere ich mich gut um meinen Körper, ernähre ihn gesund, schlafe ausreichend, bewege mich – und habe im Alltag genügend Momente, um auch mal zu entspannen?
  • Inwieweit weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn ich zufrieden bin, wenn ich mich freue – und umgekehrt, wenn ich traurig bin oder mich schäme? In welchen Situationen habe ich so gefühlt?
  • Womit kann ich dafür sorgen, dass es mir gutgeht, dass ich mich freue, dass ich zufrieden bin? Umgekehrt: Womit können mich Menschen kränken, was macht mich im Alltag traurig oder beschämt mich?
  • Inwieweit habe ich Menschen, die ich brauche und die mich brauchen?
  • Wie viele Menschen, wie viele regelmäßigen Kontakte brauche ich, damit mein Akku aufgeladen ist? In welchen Situationen mit anderen fühle ich mich aufgehoben und eingebunden? Umgekehrt: Welche Kontakte und soziale Situationen senken mein Energielevel?
  • Fühle ich Sinn in meinem Leben, sehe ich einen Zweck in meinem Handeln?
  • Weiß ich, welche Interessen ich habe? Wenn ja, welche sind das?
  • Inwieweit kann ich meine Interessen im Alltag ausleben, auch mal kreativ sein, etwas gestalten, Neues lernen?
  • Bin ich in der Lage, auch einmal absolut gar nichts zu tun?
  • Inwieweit fühle ich mich mit dem großen Ganzen verbunden, habe also etwa einen Zugang zu Spiritualität, zu Natur, einem Glauben?

„Wenn es Ihnen schwerfällt, diese Fragen ad hoc zu beantworten, ist ein Blitz-Tagebuch für einen kurzen Zeitraum eine gute Sache“, rät vorm Walde. „Schreiben Sie dafür eine Woche lang einmal auf, was Sie tun, was sie essen, wie gut Sie schlafen, wie oft Sie sich bewegen, wie oft und mit wem Sie in Kontakt sind – und vor allem, wie Sie sich mit welcher Beschäftigung fühlen. Das hilft enorm, sich auf die Spur zu kommen“.

Schritt 2: Entwicklungsfelder identifizieren

Nach der Bestandsaufnahme gilt es, jene Bereiche auszumachen, in denen die Selbstfürsorge noch am wenigsten klappt – ob also eher die körperlichen, emotionalen, sozialen, geistigen oder spirituellen Elemente mehr Aufmerksamkeit brauchen.

Wer beispielsweise einen erfüllenden Job hat und sehr viel Zeit damit verbringt, hat möglicherweise Probleme, einfach mal gar nichts zu tun und in sich hineinzufühlen. Wer dagegen genau weiß, welche Situationen Zufriedenheit bringen und ein Hobby oder Ehrenamt ausübt, richtet eventuell zu wenig Fokus auf den eigenen Körper.

Schritt 3: Selbstfürsorge im Alltag verankern – 9 Übungen

1. Regelmäßig in sich hineinspüren

Nehmen Sie sich jeden Tag mindestens fünf Minuten Zeit, besser mehr, um sich zu fragen: Wie geht es mir? Wie fühle ich mich? „Manche machen das in der Mittagspause, manche abends im Bett vorm Einschlafen. Es ist völlig egal, wann Sie es tun, aber es ist enorm wichtig, dass Sie es tun“, sagt vorm Walde. Diese Routine helfe, in Kontakt mit sich selbst und den eigenen Bedürfnissen zu bleiben.

2. Etwas Neues lernen

Auch den Geist rege zu halten, bedeutet Selbstfürsorge. Dabei muss es allerdings nicht direkt eine neue Sprache sein oder ein berufsbegleitendes Studium. „Es kann schon genügen, sich bewusst einmal die Meinungen anderer anzuhören und in Gesprächen die eigene Meinung zu vertreten“, so vorm Walde.

Wichtig sei, sich grundsätzlich die Neugier zu erhalten, die Menschen auszeichne. „Das bedeutet, Offenheit zu pflegen. Da reichen schon Kleinigkeiten. Etwa auch mal ins Hobby des Partners oder von Freunden hineinzuschnuppern. Warum nicht einmal mit zum Fußball oder ins Theater gehen – selbst wenn einen das bisher nicht interessiert“, so die Expertin.

3. Sich besser um den Körper kümmern

Der Körper sagt deutlich, was ihm guttut oder nicht, man muss nur hinhören und reagieren. Fast Food etwa macht müde – wer sich dagegen eine Woche bewusst gesund ernährt, fühlt sich energiegeladener. Zu wenig Schlaf wiederum lässt uns nur schwer durch den Tag kommen – wer vermehrt auf eine gute Schlafhygiene achtet, fühlt sich morgens frischer. Und wenn der Rücken durch Schreibtischarbeit zwickt, hilft es meist schon, sich deutlich mehr zu bewegen.

„Wichtig ist: Auch körperliche Selbstfürsorge sollte Spaß machen und keine lästige Aufgabe sein“, erklärt vorm Walde. Beispiel: Wer sich zum Joggen zwingen müsse, hätte vielleicht mehr Freude daran, einen entspannten Spaziergang zu unternehmen. Und wem beim Bahnenziehen im Schwimmbad langweilig sei, könne sich womöglich zu einem Mannschaftssport oder einem Pilates-Kurs mit einer Freundin besser motivieren.

4. Nichtstun einüben

Suchen Sie sich Zeitinseln, in denen Sie absolut gar nichts tun. Wenn Ihnen Mini-Auszeiten und kurze Pausen noch schwerfallen, sollten Sie sich diese als Termine im Kalender notieren – auch wenn sich das merkwürdig anfühlt. „Nichts zu tun, ist für Körper, Geist und Seele unglaublich wichtig. Aber viele können das mit ihren Erwartungen an sich nicht gut vereinbaren, kommen nie zur Ruhe“, erklärt die Psychotherapeutin. Hier helfe es, sich klarzumachen, dass wir Ruhe brauchen, um gut funktionieren zu können und gesund zu bleiben. „Das gilt ganz besonders für unser Gehirn. Wer viel schaffen will, sollte sich also auch viel Ruhe erlauben“, so die Resilienz-Expertin.

5. Ein Hobby suchen – oder reaktivieren

Malen, Lesen, Tischtennis, Geige spielen, ins Freibad gehen, Häkeln, Kino, Theater, Klettern: Wer regelmäßig seinen Interessen nachgeht und tut, was ihn begeistert, lebt zufriedener. Doch was, wenn die eigenen Interessen in Vergessenheit geraten sind? „Dann können Sie sich fragen: ‚Was habe ich als Kind gern gemacht?‘“, rät vorm Walde. Denn Kinder täten nur das, wozu sie intrinsisch motiviert seien, was ihnen Spaß bringe.

Natürlich würden Menschen der Expertin zufolge als Erwachsene nicht zwangsläufig genau dieselben Beschäftigungen mögen. Aber: „Wir stoßen so wieder an unsere Natur: Waren wir eher viel draußen unterwegs mit Freunden oder konnten wir im Spiel oder in der Kreativität versinken?“

Bis Menschen wissen, womit sie sich wohlfühlen und richtig erholen, vergeht oft einige Zeit. Es gelte, so vorm Walde weiter, wild auszuprobieren und möglichst viel zu testen. „Vielleicht schließen sie sich auch mal einer Gruppe an, von der sie sich mitziehen lassen können.“

6. Sich für die Gesellschaft engagieren

Sich beispielsweise ein Ehrenamt zu suchen, verbessert die Selbstfürsorge auf gleich mehreren Ebenen: Menschen kommen mit anderen in Kontakt, können Interessen ausleben und einen Sinn finden. Überlegen Sie daher: Wofür würden Sie sich gern einsetzen? Wie viel Zeit könnten Sie entbehren? Und was wäre ein erster niedrigschwelliger Schritt, ein Ehrenamt anzugehen? „Wichtig ist aber auch hier, das richtige Maß an Engagement zu finden und die eigenen Grenzen wahrzunehmen. Ich kenne viele Ehrenamtliche, die sich im Einsatz für andere erschöpfen“, sagt vorm Walde.

Deshalb rät die Resilienz-Expertin allen, die bereits ein Ehrenamt bekleiden, sich zu fragen: Inwieweit mache ich womöglich schon zu viel des Guten? Überschreite meine Grenzen? Und dann zu schauen, wie Sie diesem Problem begegnen könnten.

7. Ziele setzen

„Zu überlegen, was man gern erreichen würde, ist ein Ausdruck von Zukunftsorientierung – und diese stärkt unsere Resilienz enorm“, sagt vorm Walde. Denn selbst gesteckte Ziele, die auf Dingen beruhen, zu denen wir uns von innen heraus motivieren können, sorgten für Zuversicht.

8. Spiritualität suchen

„Womöglich klingt es für viele erst einmal merkwürdig, aber: Sich ab und an mit „höheren Sphären“ zu verbinden, hilft Menschen, sich als Teil eines großen Ganzen zu sehen. Das entlastet und nimmt Verantwortung, die im Alltag oft übermächtig scheint“, so die Expertin.

Wer gläubig ist, hat es dabei leicht – Gebete etwa sind gelebte Selbstfürsorge. Doch auch ohne persönlichen Glauben lassen sich spirituelle Rituale finden – etwa, sich am Ende des Tages drei Dinge zu vergegenwärtigen, für die man an diesem Tag dankbar ist. Oder eine Viertelstunde zu meditieren. Oder mal eine kurze Auszeit im Kloster zu nehmen. Auch der Weg in die Natur ist für viele hilfreich – etwa über Waldbaden oder auch Gärtnern, wenn es einem Freude macht.

9. Genuss suchen

„Sich selbst zu kasteien ist nicht gesund. Genuss im Leben zu verankern dagegen eine wichtige Übung, wenn es darum geht, Selbstfürsorge zu lernen“, sagt vorm Walde. Ein Stück Schokolade, ein Vollbad, eine Massage – besonders sehr kontrollierten Menschen falle es oft schwer, sich selbst Kleinigkeiten zu gönnen. „Kontrollierte Menschen haben in den allermeisten Fällen ein Vertrauensproblem. Der Mensch sucht immer nach Sicherheit: Die Disziplin wird dann zu einer Fehlsicherheit, die ins Zwanghafte führen kann – und verhindert, eigene Bedürfnisse zu befriedigen“, so die Expertin weiter.

Sie wissen nicht, womit Sie am besten anfangen sollen? Dann hat vorm Walde noch eine Top-Übung parat: die „Herzstärkend-Herzschwächend-Übung“. Dabei gilt es, abends den Tag minutiös durchzugehen und jede Aktivität zu bewerten. Was hat mir gutgetan, war also „herzstärkend“? Was war neutral? Und was hat sich gar nicht gut angefühlt, war also „herzschwächend“? „Mit dieser Übung erkennen Sie Dinge, von denen Ihnen gar nicht bewusst war, dass sie Ihnen nicht guttun“, so vorm Walde. Damit sei die Übung ideal, um sich selbst kennenzulernen – und ein guter Start für alle, die Selbstfürsorge lernen wollen.

Die Expertin
Andrea vorm Walde ist Therapeutin und Business-Coachin mit dem Schwerpunkt Persönlichkeitsentwicklung. Seit mehr als zehn Jahren berät sie Unternehmer, Führungskräfte und Soloselbstständige.

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