Optimierungswahn
Wann bin ich gut genug?

„Du kannst alles schaffen, wenn du nur hart genug arbeitest.“ Dieser Satz soll motivieren. Doch er ist auch gemein. Und gefährlich.

17. Mai 2023, 15:17 Uhr, von Nicole Basel, Chefredakteurin

Womöglich sorge ich mit diesem Text für Kopfschütteln. Vielleicht bei Ihnen, vielleicht aber auch bei meiner Redaktion. Denn er ist in gewisser Weise eine Antithese zu vielen Texten, die wir schreiben, in denen es darum geht, immer besser zu werden, das Beste aus sich und anderen rauszuholen.

Ich will für etwas plädieren, das einen schlechten Ruf hat: Stillstand. „Stillstand ist Rückschritt“, heißt es. „Stillstand können wir uns nicht leisten.“ Stillstand kann aber auch etwas anderes bedeuten: Ruhe, Akzeptanz, Zufriedenheit, Ankommen – bei sich selbst.

Kann man wirklich alles erreichen?

Ein Bekannter von mir stottert. Zahlreiche Therapien waren erfolglos. Er hat sein Stottern akzeptiert, einige Menschen um ihn herum aber nicht. Sie raten ihm, sich mal zu entspannen. Ein Leben ohne Stottern sei möglich, Joe Biden hätte es auch geschafft. Er müsse nur an sich glauben, dann klappe das schon. Meinen Bekannten macht das wütend. Er hat das Gefühl, ihm werde die Schuld an seinem Stottern gegeben. Als müsse er sich einfach nur mehr anstrengen.

Die „guten Ratschläge“, die er bekommt, sind Teil eines Glaubens, der in meinen Augen ein gefährlicher Irrglaube ist – und der sich in der letzten Zeit (befeuert durch unzählige Bestseller und Mindset-Coaches) enorm verbreitet hat: „Du musst nur konstant an dir arbeiten, dann kannst du alles erreichen.“

Wenn immer noch mehr möglich ist, ist man nie gut genug

Damit wir uns nicht missverstehen: Ich finde es toll, wenn Menschen dazulernen, sich weiterentwickeln. Doch der Druck, sich ständig zu optimieren, ein noch besseres Selbstmanagement zu haben, noch schneller, agiler, moderner, innovativer zu werden, führt zu Frust und Stress. Denn wenn immer noch mehr möglich ist, dann ist auch klar: Ich bin nie gut genug.

Wer ständig an sich selbst arbeitet, der macht nichts mehr „einfach so“, alles zielt darauf, besser zu werden. Ich erwische mich selbst dabei: Früher habe ich Sport zum Spaß gemacht. Heute mache ich Sport, um fitter zu werden. Früher bin ich mit Kollegen Bier trinken gegangen. Heute denke ich: Ist ja auch gut fürs Teambuilding. Immerhin: Als mir letztens jemand eine Uhr schenken wollte, mit der ich meinen Schlaf optimieren könnte, habe ich dankend abgelehnt.

Es ist wichtig, Grenzen zu kennen und zu akzeptieren

„Ich habe lange gebraucht, um zu akzeptieren, dass ich keine Maschine bin“, sagte neulich eine Unternehmerin zu mir. Sie war mit sich selbst hart ins Gericht gegangen, wenn sie an einem Tag mal keine Topleistung abrufen konnte.

Nein, es ist nicht alles möglich. Wir Menschen stoßen immer wieder an Grenzen. Und ich bin überzeugt: Als Führungskraft sollte man nicht nur die Fähigkeiten seiner Mitarbeiter kennen. Es ist wichtig, auch Grenzen zu kennen: die Grenzen anderer, aber auch die eigenen.

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