Olympia-Learnings
6 Lektionen von Olympia – und eine Sache, die mich geärgert hat

Die letzten zwei Wochen habe ich fast ununterbrochen Olympia geguckt. Zeitverschwendung? Mitnichten. Selten habe ich auf dem Sofa vor der Glotze so viel fürs Leben (und Arbeiten) gelernt.

8. August 2024, 20:08 Uhr, von Nicole Basel, Chefredakteurin

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Das Bild zeigt die Siegerehrung der Bodenturnerinnen bei den Olympischen Spielen 2024. Siegerin ist Rebeca Andrade, Simone Biles (Silber) und die Drittplatzierte verneigen sich auf dem Siegerinnenpodest vor der Gold-Gewinnerin.
Wer die Olympischen Spiele schaut, kann sich nicht nur mitfreuen, sondern auch konkrete Olmypia-Learnings mitnehmen.
© Elsa / Staff / Getty Images Sport / Getty Images

Meine Kinder finden aktuell, dass ich eine Tipptopp-Mutter bin. Denn alle Regeln dazu, wann und wie lange der Fernseher bei uns zu Hause laufen darf, wurden von mir auf einmal außer Kraft gesetzt. Der Grund: Mutti will Olympia gucken.

Andere Olympische Spiele habe ich kaum wahrgenommen, dieses Mal bin ich angefixt, seit Celine Dion bei der Eröffnungsfeier „L’Hymne à l’amour“ vom Eiffelturm schmetterte. Ich habe die Skateboard-Wettbewerbe geschaut, Stabhochsprung, das Finale im Hindernislauf, Handball, Fußball, Hockey, Turnen – sogar beim Kugelstoßen saß ich gebannt vorm Fernseher.

Vergeudete Zeit? Mitnichten. Selten habe ich so viel fürs Leben (und Arbeiten) gelernt.

1. Sei offen für Neues

Bei den Spielen sah ich zum ersten Mal 3×3 Basketball. Für alle, die so unwissend sind wie ich: Da spielen nur drei Spieler pro Mannschaft und es gibt nur einen Korb. Mein erster Gedanke: „Was soll der Mist? Basketball ist doch gut so, wie es ist!“

Meine Reaktion ist meinem Alter angemessen. Studien zeigen: Je älter wir werden, desto weniger sind wir offen für Neues. Ist die 40 erst einmal überschritten, wünschen wir uns im Grunde am meisten, dass alles so bleibt wie es ist.

Doch Olympia hat mir wieder gezeigt, wie schön es ist, sich auf Neues einzulassen und festzustellen: Das ist ja richtig gut. War zumindest beim 3×3 Basketball so – und zur Krönung haben die deutschen Frauen auch noch gewonnen.

2. Feier die Leistung der anderen – das macht deine eigene Leistung nicht kleiner

Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an die amerikanische Eiskunstläuferin Tonya Harding, die in ein Eisenstangen-Attentat auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan verwickelt war.

Es ist das Bild, das ich jahrelang gerade von Sportlerinnen im Eiskunstlaufen, Turnen oder Tanzen jahrelang im Kopf hatte: Verbissenheit, Machtkämpfe – und die Konkurrentin guckt man am besten nicht mal aus dem Augenwinkel an.

Bei den diesjährigen Olympischen Spielen erlebte ich etwas völlig anderes – gerade bei den Turnerinnen, die sich quer über alle Nationen hinweg nach jeder Übung abklatschten. Umarmungen, High-Fives, sogar Jubel bei geglückten Elementen der Konkurrenz. Als die Brasilianerin Rebecca Andrade im Bodenturnen Gold gewann, verbeugten sich die amerikanischen Konkurrentinnen auf dem Podium vor ihr.

Das hat mich beeindruckt und gefreut, weil es nicht selbstverständlich ist. Wir Menschen sind einfach schnell neidisch, vergleichen uns mit anderen. Es ist nicht immer leicht, sich für den Erfolg anderer zu freuen. Daher ist für mich der kameradschaftliche Umgang der Turnerinnen eine mindestens so große Leistung wie jeder Doppelsalto.

3. Ein Team ist dann am stärksten, wenn jeder seine Stärke einbringen kann

Bestes Beispiel: die deutsche Basketballmannschaft. Warum? Weil hier Menschen zusammenkommen, die sich perfekt ergänzen und in den Dienst der Mannschaft stellen. Etwa NBA-Star Dennis Schröder, der mit seinem enormen Selbstbewusstsein den anderen hilft, an sich zu glauben. Isaac Bonga, der die Angreifer der Gegner verzweifeln lässt. Daniel Theis, der hartnäckig um jeden Ball kämpft. Der Riese Franz Wagner, der oft die meisten Punkte macht.

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Manche Menschen sagen, ihre Arbeitskollegen seien ihre Familie. Ich habe schon oft darüber geschrieben, dass ich die Sichtweise schwierig finde, und dass sich ein Team bei der Arbeit eher mit einer Sportmannschaft wie dem Basketballnationalteam vergleichen lässt: Die Spieler stellen Anforderungen aneinander. Sie bauen sich gegenseitig auf, aber geben auch mal kritisches Feedback. Man braucht unterschiedliche Fähigkeiten und Typen. Und wer sich nicht voll reinhängt, der kann auch nicht dabei sein. Es geht um Leistung – das ist bei allem Teamgeist immer klar.

4. Mach, was Du willst, aber mach es gut

Manche Sportarten sind mir suspekt. Zum Beispiel Kugelstoßen: Da geht es nicht um Taktik, um Spielzüge, um neue Elemente. Es geht um eine einzige Bewegung.

Ich könnte mir nie vorstellen, jahrelang zu trainieren, um eine Kugel perfekt zu stoßen. Aber ich finde es faszinierend, anderen Menschen zuzugucken, die in ihrer Disziplin Perfektion erreicht haben.

Das lässt sich wunderbar aufs Leben übertragen. Ich weiß noch, wie schräg manche meiner Freunde angeschaut wurden, als sie sich für ein Studium oder eine Ausbildung entschieden. „Das ist doch ein Orchideenfach“, hieß es. Als sie Jahre später zur Koryphäe ihres vermeintlichen Orchideenfachs wurden, meckerte niemand mehr. Daher denke ich: Es gibt keine Nische, die zu klein ist, um darin ein echter Spezialist zu werden – und es ist wunderbar und bewundernswert, wenn Menschen auf ihrem Gebiet zum Star werden.

5. Beim Comeback geht es nicht um Schnelligkeit

Nochmal Turnen: Bei den letzten Olympischen Spielen in Tokio 2021 musste Amerikas Star-Turnerin Simone Biles aufgeben. Sie hatte psychische Probleme, die waghalsigen Turnelemente machten ihr plötzlich Angst, sie hatte das Vertrauen in ihren Körper verloren. Für ihren unerwarteten Ausstieg musste sie heftige Kritik einstecken, wurde von vielen Amerikanern als „Quitter“ beschimpft, als eine, die aufgibt.

Im Jahr 2022 bestritt Biles daraufhin keinen einzigen Wettkampf. Erst Mitte 2023 kehrte sie zu den US Classics zurück. Die Spiele in Paris waren ihr großes Comeback. Mit 27 Jahren wurde sie die älteste Goldmedaillengewinnerin im Turnen seit 1956, insgesamt räumte sie vier Medaillen ab. Und ich stimme dem amerikanischen Psychologen Adam Grant zu, wenn er dazu schreibt: „Bei der Widerstandsfähigkeit geht es nicht darum, wie schnell man sich erholt, sondern darum, wie vollständig man sich erholt. Man kann die Stärke eines Menschen nicht beurteilen, wenn er fällt. Seine Stärke zeigt sich, wenn er wieder aufsteht.“

6. Talent wird überbewertet

Keine Frage, bei Olympia waren sehr talentierte Sportler und Sportlerinnen zu sehen. Aber Talent allein macht niemanden erfolgreich – andere Faktoren sind mindestens genauso wichtig, wenn nicht wichtiger: etwa Disziplin, Resilienz, Durchhaltevermögen, Lernbereitschaft.

Ein gutes Beispiel dafür ist wieder eine Turnerin: Rebecca Andrade, die oben auf dem Foto zu sehen ist. Die Brasilianerin ist eines von acht Kindern einer alleinerziehenden Mutter. Es wird erzählt, dass sie teilweise zwei Stunden zu Fuß zum Turntraining gelaufen ist. Ihren Erfolg verdankt sie vor allem ihrer großen Willensstärke.

Wer etwas erreichen möchte, der sollte weniger darauf gucken, ob andere bessere Voraussetzungen hatten oder die Umstände schwierig sind. Wer etwas erreichen möchte, der muss an sich glauben – und weitermachen, wenn es schwierig wird.

Und ein Ärgernis: (Soziale) Medien sind nicht fair

Erinnern Sie sich noch an das Bild von Yusuf Dikec, dem türkischen Sportschützen, der sich ohne Spezialbrille, ohne Gehörschutz und mit Hand in der Tasche zur Silbermedaille schoss? Innerhalb von Stunden wurde das Bild im Internet zum Meme. Der 51-Jährige war plötzlich das Symbol der lässigen Generation X, die gegen die angeblich verweichlichte Generation Z antritt und ohne jede technische Hilfe aufs Treppchen steigt.

Apropos Treppchen: Darauf stand doch noch jemand neben ihm, oder?

Richtig: Die Medaille hat Yusuf nicht alleine geholt – sondern gemeinsam mit einer Frau. Es war schließlich ein Mixed Wettbewerb. Ohne seine 24-jährige Partnerin Sevval Illayda Tarhan hätte Mr. Coolness keine Chance gehabt, denn Sevval hat konstanter geschossen als er. Im Einzelwettkampf war Yusuf Dikec gerade einmal 13. geworden.

Aber im Internet wurde Sevval Illayda Tarhan oft noch nicht einmal erwähnt. Mich hat das geärgert – aber auch bestätigt: (Soziale) Medien sind nicht fair. Aufmerksamkeit bekommt nicht der oder die Beste – sondern der- oder diejenige mit der coolsten Geschichte.

Die Autorin
Grafik von Nicole Basel, Chefredakteurin von ImpulseNicole Basel führt als Chefredakteurin die impulse-Redaktion. Während sich ihre eigenen sportlichen Ambitionen aktuell auf Senioren-Fitness beschränken, zeigt sie als Zuschauerin bemerkenswerte Ausdauer – und fürchtet sich schon jetzt vorm Nach-Olympia-Loch, wo man sich wieder überlegen muss, wie man den Abend verbringen möchte.

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