Jochen Schweizer
Das Erfolgsgeheimnis des Erlebnisunternehmers

Dem ehemaligen Stuntman Jochen Schweizer ist es gelungen, sich selbst zur Marke zu machen und ein Unternehmen aufzubauen, das über 100 Millionen Euro wert ist. Was treibt ihn an?

14. Oktober 2020, 09:54 Uhr, Von Heike Kottmann

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Jochen Schweizer im Windkanal
© Tobias Hase/dpa

Bescheidenheit ist nicht gerade eine Eigenschaft, die Jochen Schweizer ausmacht. Auf dem Parkplatz vor seiner Firma steht ein Helikopter, in der Eingangshalle ein Sportwagen. Gegenüber sind die Regale mit allerlei Merchandising-Artikeln gefüllt: Auf Schlüsselanhängern, Energy-Riegeln, Trinkflaschen, Stirnlampen, Rucksäcken, Büchern und T-Shirts prangen sein Name und sein Konterfei. Auf einem dieser T-Shirts steht der Spruch: „Fear is temporary. Regret is forever“. Angst geht vorbei, Bedauern bleibt.

„Der Spruch ist von mir“, sagt Jochen Schweizer, 63, stolz beim Rundgang durch sein Reich und in Richtung Windkanal, in dem gerade Fallschirmjäger der Bundeswehr ein paar Manöver üben. Jochen Schweizers Firmensitz ist nicht einfach nur ein Firmensitz, sondern die „Jochen Schweizer Arena“: ein 30 Meter hoher Turm, knapp 15 Kilometer südlich von München gelegen, das Logo ist bereits ab der Autobahnausfahrt erkennbar.
Irgendwie ist fast alles an Jochen Schweizer enorm oder mindestens ein bisschen dick aufgetragen: die kantige Brille, der Ring am Finger und die Uhr, die seine Vitaldaten aufzeichnet. Sein Schreibtisch besteht aus einem alten Flugzeugflügel.

Es wäre also einfach, sich über Jochen Schweizer ein wenig lustig zu machen, der den Menschen Abenteuer in Form von Gutscheinen verkauft und damit ein Vermögen gemacht hat. Es wäre aber auch dumm, nicht zu erkennen, wie viel Geschick es verlangt, sich als ehemaliger Stuntman selbst zur Marke zu machen und ein derartiges Imperium zu erschaffen. Im Bundesanzeiger werden Dutzende Firmen mit dem Namen des Unternehmers angezeigt: Von der Jochen Schweizer Arena GmbH über die Jochen Schweizer Leisure and Travel Holding bis hin zur Jochen Schweizer Corporate Solutions GmbH. An einigen dieser Firmen ist er noch beteiligt, andere hat er bereits veräußert. 2017 hat Jochen Schweizer für 108 Millionen Euro eine Beteiligung an einem seiner Unternehmen an den Medienriesen ProSiebenSat.1 verkauft.

„Du bist, was du erlebst“, lautet der Leitspruch auf Jochen Schweizers Homepage. Der Spruch erzählt viel über seine Unternehmenswelt, aber auch über den Menschen, der dahintersteckt. „Du bist, was du erlebst“ ist auf der einen Seite eine banal-korrekte Aussage, auf der anderen Seite wiederum enorm, weil Schweizer sich damit zum Schöpfer der Lebenswelten seiner Kunden ernennt. Vielleicht ist es genau diese Mischung aus ehrlichem Angebot und leichter Hybris, die den Erfolg von Jochen Schweizer ausmacht.

Dazu kommt eine gehörige Portion Selbstbewusstsein, als Unternehmer den eigenen Namen derart großflächig zu vermarkten. „Die Marke ist mir heilig, ich verkaufe nichts, was ich nicht selbst tun würde oder woran ich nicht glaube“, sagt Schweizer und beißt im Gartenrestaurant seiner Arena in ein Clubsandwich. Also verkauft er nicht nur Bungee-Sprünge oder stundenweise gemietete Lamborghinis, sondern neuerdings – dank einer Kooperation mit Edeka – auch gesunde Snacks in Form von Müsli, veganen Riegeln, Chips und Smoothie-Öl. Produkte, die in ihrer Form für ein besseres Leben stehen.

Am Bungee-Seil aus dem Helikopter

Eines muss man Jochen Schweizer lassen: Der Mann weiß, was er verkauft. Er gilt als Pionier der Extremsportler, er hat als Stuntman in Filmen mitgewirkt. 1997 stand er im Guinness-Buch der Rekorde, als er an einem 470 Meter langen Seil in 2500 Meter Höhe aus einem Helikopter sprang. Es war der höchste Bungee-Sprung, den je ein Mensch gemacht hat. Und gleichzeitig der mit der längsten Falldistanz: 36 Sekunden war Schweizer im freien Fall.

Für den damaligen Extremsportler war es auch der letzte kommerzielle Sprung. Am Abend zuvor bat ihn sein damals achtjähriger Sohn, künftig nicht mehr als Stuntman zu arbeiten. Und tatsächlich: Schweizer beendete seine Karriere und konzentrierte sich fortan ganz auf seine Rolle als Unternehmer.

Und als der hat Jochen Schweizer sein Limit noch lange nicht erreicht. Er will immer höher. Aktuell: seine Arena erweitern und zu einem Paradies für Firmenevents ausbauen – samt Hotel, Büros, Apartments und Eventflächen. „Das wird der coolste Event-Place in Europa“, sagt Schweizer und deutet mit der Hand auf die gegenüberliegende Seite seiner Arena, wo aktuell noch Bürocontainer auf Schotter stehen und ab Ende 2020 das „Jochen Schweizer Quartier“ entstehen soll. Hierfür hat seine Firma, die Jochen Schweizer Gruppe, Grundstücke an den Projektentwickler Art-Invest Real Estate verkauft.

Das Timing für die Investition, die sich laut Schweizer auf einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag beläuft, ist ungünstig. „Corona hat viel verändert“, sagt er, dessen Unternehmen gleich auf drei Branchen baut, die der Lockdown besonders hart getroffen hat: Gastronomie, Events und Touristik. Auch in Schweizers Unternehmen wurden Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. „Natürlich war da erst einmal eine Art Schock, aber aus dem haben wir uns schnell befreit“, erzählt der Unternehmer. Etwa durch zeitlich flexible und kurzfristig veränderbare Buchungen und eine improvisierte Freiluftküche im Garten der Arena. „Wer unseren Abholservice in Anspruch nimmt, bekommt außerdem direkt einen Erlebnis-Gutschein für die Arena dazu. Am Ende sind wir damit auf rund 1000 Euro Tagesumsatz gekommen, das sind immerhin 350.000 Euro Jahresumsatz“.

Der schwärzeste Tag seines Lebens

Es gab im Unternehmerleben von Jochen Schweizer eine Krise, die schlimmer war als die coronabedingte Umsatzdelle. Eine Krise, die alles überschattete: Am 20. Juli 2003 riss bei einem Bungee-Sprung das Seil, und ein 31-jähriger Mann stürzte in Dortmund an einer von Jochen Schweizers Sprunganlagen in den Tod. Schweizers Unternehmen stand daraufhin vor dem Aus, das Vertrauen in seine Bungee-Sprunganlagen war bei den Kunden von einem auf den anderen Tag verschwunden, Sponsoren zogen sich zurück.

Die drohende Insolvenz seiner Firma konnte er nur verhindern, indem er sein Privatvermögen auflöste: Schweizer verkaufte sein Haus und machte beinahe alles zu Geld, was er besaß. Am Ende war er zwar persönlich mittellos, aber die Schulden und Kredite für sein Unternehmen waren getilgt.

Den 20. Juli 2003 beschreibt er noch heute als schwärzesten Tag seines Lebens. Aber Schweizer ist keiner, der aufgeben würde. Er vertraute in die eigenen Stärken und hatte den unbedingten Willen, es wieder ganz nach oben zu schaffen.

Er macht Schreibtischtäter zu Panzerfahrern

Und tatsächlich gelang Schweizer der Turnaround: Er begann, im Internet Gutscheine für Veranstaltungen zu verkaufen. Ein Geschäft, für das er wenig Startkapital brauchte. Und eines, das er mit wenigen Mitarbeitern beginnen konnte, denn die Veranstaltungen selbst finden bis heute bei Kooperationspartnern statt. Es war die Geburtsstunde der Jochen Schweizer Erlebnisbox: einer Gutscheinsammlung mit Angeboten wie Dinner im Dunkeln und Entspannungsmassagen.

Mithilfe von Online-Marketing, eigenen Filialen und Handelspartnern, die seine Gutscheine vertreiben, wird er erfolgreicher als je zuvor. Schweizer erfüllt die kühnsten Träume seiner Kunden: Wer im Alltag ein Schreibtischdasein fristet, kann mit seiner Hilfe zum Panzerfahrer werden. Wer sich zwischen Haushalt, Job und Kindern aufreibt, genießt dank Schweizer ein Candle-Light-Dinner, und das auch noch zu einem erschwinglichen Preis. Wer keine Ahnung hat, was er einem Freund schenken soll, der eh schon alles hat, greift gern zum Jochen-Schweizer-Gutschein. Für jeden, so scheint es, hat er das passende Angebot.

Schweizer ist damals der Erste in Deutschland, der eine breite Palette an Freizeitangeboten digital vertreibt. Nur einen Monat nach dem Start hat er bereits Gutscheine im Wert von 180.000 Euro verkauft. Heute sind es rund 1,4 Millionen Erlebnisse pro Jahr. Über den Umsatz hat er mit ProSiebenSat.1 Stillschweigen vereinbart.

Wer als Unternehmer einen so einschneidenden Schicksalsschlag erlebt hat wie Jochen Schweizer, steht anderen Krisen gelassener gegenüber. Jammern über Corona zum Beispiel, sagt Schweizer, stünde einem Unternehmer nicht gut zu Gesicht, im Gegenteil: „Diese Krise bedeutet auch eine Chance. Denn Krisen bewirken immer Veränderungen.“

Er glaubt daran, das sich durch Erlebnisse Gedanken steuern lassen

Führung und Motivation gehören zu den Themen, mit denen Jochen Schweizer sich neben dem Unternehmertum am liebsten beschäftigt. In den vergangenen Jahren veranstaltete er Firmenevents und organisierte Recruiting-Veranstaltungen für andere Unternehmen, bei denen er selbst als Motivationsredner auftrat.

„Letztes Jahr hatten wir eine große Unternehmensberatung hier. Die Bewerber haben wir in Escape-Rooms geschickt, aus denen sie sich befreien mussten“, erzählt Schweizer, und man sieht ihm die Freude an diese Erinnerung deutlich an. Was erst einmal klingt wie ein banales Spiel, hat laut Schweizer durchaus einen Sinn: „Es geht darum, ein neues, positives Mindset zu schaffen. Wir verkaufen Erlebnisse, die erzeugen Erfahrungen. Erfahrungen erzeugen Emotionen. Und durch die werden unsere Gedanken beeinflusst. Wir können also proaktiv unsere Gedanken steuern, indem wir entscheiden, was wir erleben.“ Gerade jetzt, in wirtschaftlich unsicheren Zeiten der Corona-Pandemie, sei das noch wichtiger als je zuvor.

Er wendet diese Methode auch bei seinen Mitarbeitern an. „Einmal im Jahr veranstalten wir eine Ski-Rallye, und in einem der vergangenen Sommer, bei 35 Grad, habe ich kurzfristig alle Mitarbeiter auf eine kleine Bootstour über die Isar geschickt.“ Es sei sehr witzig gewesen, als man erst einmal gemeinsam 50 Schlauchboote auf der Wiese habe aufpumpen müssen. „Durch solche Erlebnisse entsteht ein Team. Einzelkämpfer bringen einer Firma in der Regel nicht besonders viel.“

Es sei daher ungemein wichtig, sein Team zu motivieren und dadurch das Wertesystem des Unternehmens zu vermitteln. „Dazu braucht man mehr als eine Einladung aufs Oktoberfest“, findet Schweizer. „Da wird im Übermaß Alkohol konsumiert und künstlich die Stimmung gelöst.“ Ihm liegt viel daran, seine Mitarbeiter über gemeinsame Erlebnisse zusammenzubringen – und das am liebsten nüchtern. „Gemeinsame Erlebnisse bringen für das Unternehmen auch Ergebnisse“, ist Schweizer überzeugt.

„Ein Unternehmer muss sich ständig verändern“

Vieles, was er anderen Unternehmern an Erfahrungen weitergeben will, sagt Schweizer, leite er aus den Erfahrungen in seinem Unternehmen ab. Überhaupt scheint ihn das Thema Mitarbeitermotivation stark zu beschäftigen. „Jeder sollte in einer Firma in seinem Bereich sein Bestes geben“, sagt er und erzählt von einer Reinigungskraft, die seit zehn Jahren in seiner Firma sauber macht: „Sie knotet jede Mülltüte so, dass sie nicht in den Eimer rutschen kann, wenn man Müll in den Beutel wirft“, erzählt Schweizer.

Er nennt das „operative Exzellenz“. Für ihn eine Sache der Grundeinstellung: „Jeder Mitarbeiter sollte sich fragen: Wie kann ich meinen Job noch besser machen?“ Eine Frage, die sich Jochen Schweizer selbst häufig stellt – und auch beantwortet. „Ein Unternehmer“, sagt er, „braucht Mut und muss sich ständig verändern.“

Er sei dankbar für den Digitalisierungsboom durch die Corona-Pandemie, der auch seine Branche beeinflusst. Zum Beispiel bei der Kombination von realen und virtuellen Erlebnissen. „Virtual-Reality-Brillen im Windkanal etwa bieten unfassbar tolle Möglichkeiten: Damit können die Leute durchs Weltall fliegen.“ Ein neues Erlebnis in der riesigen Erlebnispalette des Jochen-Schweizer-Imperiums.

„Bleib, wie du bist“ – wie langweilig!

Jochen Schweizer ist ein Unternehmer, der Veränderungen annimmt und sein eigenes Unternehmen mittlerweile als eine Art Rundumpaket zu betrachten scheint. Er hat zwei Bücher verfasst, beide eine Art autobiografischer Lebensratgeber. Drei Staffeln lang saß er als Juror in der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ und hat in Start-ups investiert. Inzwischen dürfte es kaum jemanden in Deutschland geben, der noch nie von Jochen Schweizer gehört hat. Mann und Marke sind untrennbar miteinander verbunden. Der Verleger Florian Langenscheidt nennt Schweizer einen „loyalen Freund“ und „visionären Unternehmer“.

So vielfältig und umtriebig er beruflich ist, wirkt Schweizer, Zen-Anhänger und Yoga-Fan, trotzdem auch wie einer, der in sich ruht. „Ich bin immer auf der Suche nach intensiven Erfahrungen“, sagt Schweizer. „Aus der Spannung und Action, die wir anbieten, entsteht meine Kraft. Innere Ausgeglichenheit erreiche ich durch Yoga, Meditation und Naturerlebnisse.“

Nur einmal habe ihn zuletzt etwas aufgeregt, erzählt er. Es ging um eine Postkarte, die er zum Geburtstag bekommen hat. „Da stand drauf: Bleib, wie du bist!“ Schweizer klingt darüber ehrlich empört. „Das ist das Langweiligste, was ich mir vorstellen kann.“

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