Corona im Betrieb
Wann die Unfallversicherung bei Covid-19 zahlt – und wann nicht

Eine Corona-Infektion im Betrieb kann ein Arbeitsunfall sein, muss es aber nicht. In welchen Fällen Unfallkassen die Anerkennung verweigern - und welche Haftungsrisiken für Arbeitgeber bestehen.

23. September 2020, 16:24 Uhr, von Peter Neitzsch, Wirtschaftsredakteur

Was passiert, wenn Corona im Betrieb ausbricht?
© Anton Petrus / Moment / Getty Images

Seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich viele Menschen auch am Arbeitsplatz mit dem neuartigen Virus infiziert. Eigentlich übernimmt in solchen Fällen die Unfallversicherung die Behandlungskosten. Doch die Träger der Unfallversicherung verweigerten in vielen Fällen die Anerkennung als Arbeitsunfall.

„Noch im März haben Unfallkassen und Berufsgenossenschaften entsprechende Anträge abgelehnt“, berichtet Anne-Kathrin Bertke, Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Arbeitsrecht im Hamburger Büro der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer. Die Begründung: Weil es sich bei der Ausbreitung des Coronavirus um eine Pandemie handele, sei das Risiko, sich zu infizieren, eine „Allgemeingefahr“ – und nicht beruflich bedingt.

Für Arbeitgeber birgt das ein großes Risiko: Denn mit dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung entfällt auch die Haftungsbeschränkung für den Unternehmer.

Mit Covid-19 infizierte Mitarbeiter können ihre Arbeitgeber auf Schadensersatz verklagen, wenn sie sich bei der Arbeit angesteckt haben.

Ist eine Corona-Infektion im Betrieb eine Berufskrankheit?

Generell übernimmt die gesetzliche Unfallversicherung die Behandlungskosten von Arbeitsunfällen sowie Berufskrankheiten und zahlt in solchen Fällen auch Lohnersatz. Das ist im Prinzip auch bei Covid-19 so: „Eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus kann grundsätzlich sowohl ein Arbeits­unfall als auch eine ­Berufskrankheit sein“, sagt Michael Quabach, Bereichsleiter Versicherungsrecht beim Spitzenverband der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) in Berlin.


Doch müssen vor allem für die Einstufung als Berufskrankheit einige Bedingungen erfüllt sein. „Damit eine Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt wird, muss sie zunächst in der Berufskrankheiten-Verordnung aufgelistet sein“, sagt Quabach. Das ist bei Infektionskrankheiten durchaus der Fall – allerdings nur für einige Berufsgruppen, die berufsbedingt einem besonderen Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Laut Verordnung sind das etwa Ärzte, Krankenpfleger oder Labormitarbeiter.

„Darüber hinaus haben wir keinerlei Hinweise, dass weitere Berufsgruppen, wie zum Beispiel Kassierer oder Zugbegleiter, ein erhöhtes Infektionsrisiko haben.“ Die Hürden für eine Anerkennung als Berufskrankheit sind also hoch. Für die meisten Corona-Fälle dürfte daher nur eine Einstufung als Arbeitsunfall infrage kommen.

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Kann eine Krankheit ein Arbeitsunfall sein?

„Bei einem Arbeitsunfall kommt es nicht auf die Branche an“, erläutert Quabach. Entscheidend ist lediglich, dass es zu der Infektion in Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit gekommen ist (§8 SGB VII). „Hier muss genau geprüft werden, ob auch tatsächlich ein kausaler Zusammenhang besteht.“

Bei Arbeitsunfällen handelt es sich keineswegs nur um Unfälle im Sinne des alltäglichen Sprachgebrauchs: „Wenn von Arbeitsunfällen die Rede ist, denken viele Menschen zunächst an Stürze oder Verletzungen an Arbeitsmaschinen“, erklärt Bertke. Wichtig für die Einstufung als Arbeitsunfall ist jedoch nur die Frage: Wäre das Ereignis auch eingetreten, wenn der Betroffene nicht bei der Arbeit gewesen wäre? „Selbst ein Wespenstich bei offenem Bürofenster kann also ein Arbeitsunfall sein.“

Aus demselben Grund können auch Krankheiten als Arbeitsunfall anerkannt werden, wenn sich der Mitarbeiter nachweislich bei der Arbeit infiziert hat. Dabei ist es egal, ob er sich bei einem Kollegen, Geschäftspartner oder Kunden angesteckt hat, solange die beruflichen Aspekte der Tätigkeit überwiegen. „Wenn ich mich bei einem privaten Treffen mit Kollegen, etwa in der Mittagspause, mit dem Coronavirus infiziere, liegen die Dinge schon wieder anders“, so Bertke.

Wann wird Covid-19 als Arbeitsunfall anerkannt?

Damit die Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse eine Corona-Infektion als Arbeitsunfall anerkennt, muss also ausgeschlossen werden oder es muss sehr unwahrscheinlich sein, dass die Ansteckung im privaten Umfeld erfolgt ist. Genau das war auf dem Höhepunkt der Pandemie im März und April aber nicht mehr möglich.

„In dieser Situation haben die Unfallversicherungsträger gesagt: Hier besteht eine Allgemeingefahr, die nichts mit der beruflichen Tätigkeit zu tun hat“, berichtet Quabach. Der Versicherungsexperte vergleicht das mit einem Erdbeben: „Davon ist auch jeder betroffen, egal, ob er sich auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen befindet.“ Unfälle infolge eines solchen Ereignisses würden daher auch nicht als Arbeitsunfall eingestuft.

Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie ließen sich die Infektionsketten nicht mehr nachvollziehen. Das erschwerte den Nachweis, dass sich ein Arbeitnehmer am Arbeitsplatz angesteckt hat. Ob eine Covid-19-Infektion im Betrieb als Arbeitsunfall anerkannt wird oder nicht, hängt also auch davon ab, wann im Verlauf der Pandemie die Infektion erfolgt ist.

Noch im März und April wurde die Einstufung als Arbeitsunfall oft pauschal abgelehnt. Rechtsanwältin Bertke sieht diese Position des DGUV kritisch: „Während des Lockdowns waren berufliche Kontakte ja für viele Menschen die einzigen Kontakte, die sich nicht vermeiden ließen.“ Gerade am Arbeitsplatz war das Risiko einer Infektion also besonders hoch.

Was hat sich seit Beginn der Pandemie geändert?

Mit der abnehmenden Zahl der Neuinfektionen änderte sich allerdings auch die Einschätzung der Unfallversicherungsträger. Weil es insgesamt weniger Corona-Fälle gibt, können Unfallkassen und Berufsgenossenschaften nun wieder besser nachvollziehen, ob eine Ansteckung im Betrieb oder in der Freizeit erfolgt ist. „Der Nachweis einer Infektion am Arbeitsplatz ist nun leichter zu erbringen“, sagt Quabach vom DGUV. Das vereinfache auch die Anerkennung als Arbeitsunfall.

„Eine Infektion mit Covid-19 wird jetzt als Arbeitsunfall anerkannt, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind“, bestätigt Bertke. So muss nachweisbar sein, dass die Infektion am Arbeitsplatz und nicht anderswo erfolgt ist.

  • Dafür ist es nötig, dass der betroffene Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen intensiven und länger andauernden Kontakt zu einem Infizierten hatte.
  • Auch ein massenhaftes Infektionsgeschehen im Betrieb könnte nach der Einschätzung des DGUV nun zu einer Einstufung als Arbeitsunfall führen.

Die Anerkennung von Covid-19 als Arbeitsunfall folgt also dem Infektionsgeschehen und kann sich bei steigenden Fallzahlen auch wieder ändern. Das sei für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen problematisch, so Bertke: „Das führt zu einer großen Rechtsunsicherheit für Unternehmer und ihre Mitarbeiter.“

Die Anwältin rechnet damit, dass zahlreiche Fälle vor Gericht landen: „Die Sozialgerichte müssen jetzt in jedem Einzelfall klären, wann eine Infektion am Arbeitsplatz als Arbeitsunfall einzustufen ist.“

Wann haften Unternehmer für Infektionen im Betrieb?

Mit der Anerkennung von Covid-19 als Arbeitsunfall übernimmt die Unfallversicherung die Haftung für Folgeschäden. Das gilt auch, wenn der Unternehmer fahrlässig gehandelt hat. Lediglich bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz haften die Verantwortlichen im Betrieb schlussendlich auch persönlich.

„Wenn ich als Unternehmer meiner Fürsorgepflicht gegenüber den Arbeitnehmern nachgekommen bin, muss ich keine Haftungsrisiken befürchten“, sagt Bertke. Zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gehört es, dass dieser alle „erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes“ ergreift. Neben den gesetzlichen Arbeitsschutzvorschriften sind das auch Empfehlungen wie jene des Robert Koch-Instituts oder der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

„Wer diese Anforderungen missachtet, handelt gegen seine Sorgfaltspflicht und damit fahrlässig“, warnt Bertke. Die Unfallversicherung befreit den Unternehmer zwar auch bei einfacher Fahrlässigkeit von Haftungsrisiken. Verstößt er dagegen grob fahrlässig oder vorsätzlich gegen Schutzvorschriften, kann der Unfallversicherungsträger ihn auch persönlich in Regress nehmen.

Während der Corona-­Pandemie könnte das beispielsweise der Fall sein, wenn der Unternehmer seine Mitarbeiter anweist, weiter ohne Schutzmaßnahmen – wie der Einhaltung eines Mindestabstands oder regelmäßiges Lüften – im Großraumbüro zu arbeiten.

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Wie hoch ist das Risiko also wirklich, dass Unternehmer vom Träger der Unfallversicherung im Nachhinein zur Kasse gebeten werden? „Meiner Einschätzung nach ist das kein Massenphänomen, sondern betrifft lediglich Einzelfälle“, sagt Quabach. Doch der DGUV-Bereichsleiter fügt hinzu: „Natürlich kann es auch bei Covid-19 Regresse geben.“

Wer haftet, wenn die Unfallversicherung nicht zahlt?

Anders liegen die Dinge, wenn die Unfallkasse oder die Berufsgenossenschaft die Infektion nicht als Arbeitsunfall anerkennt. Der Arbeitgeber haftet dann schon bei leichter Fahrlässigkeit. Scheitert der Mitarbeiter vor dem Sozialgericht mit einer Klage auf Anerkennung des Arbeitsunfalls, kann er zivilrechtlich gegen den Arbeitgeber vorgehen und diesen wegen Verletzung seiner Fürsorgepflicht auf Schadensersatz verklagen. „Hier liegt die große Gefahr, wenn die Unfallversicherung den Versicherungsschutz verweigert“, warnt Bertke.

Wenn der Arbeitgeber also keine Corona-Notfallpläne gemacht hat oder Hygieneregeln im Betrieb missachtet und der Mitarbeiter vor Gericht gut argumentiert, hat er realistische Chancen auf Entschädigung. Der Arbeitgeber haftet in diesem Fall schon bei geringfügigen Verletzungen der Sorgfaltspflicht, erläutert die Juristin. Anders als gegenüber den Unfallversicherungsträgern, die nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz Regress nehmen können.

Gelingt es dem Arbeitgeber nicht, sich zu entlasten, kann sich der Mitarbeiter Kosten, die ihm im Zuge der Krankheit entstanden sind – etwa für Reha-Maßnahmen – zurückholen. Die Haftung schließt dann auch Vermögensschäden wie einen Verdienstausfall oder Ansprüche von Angehörigen auf entgangenen Unterhalt ein.

„Wenn kein Arbeitsunfall vorliegt, besteht prinzipiell eine zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer“, bestätigt Quabach. Allerdings schränkt der Versicherungsexperte ein: In solchen Fällen würde im Regelfall auch kein Verschulden des Arbeitgebers vorliegen.

Wie wahrscheinlich ist eine Schadensersatzklage?

„Bislang gibt es noch keine einschlägigen Gerichtsverfahren zu Covid-19-Infektionen am Arbeitsplatz“, berichtet Quabach. Grund dafür ist das Widerspruchsverfahren, das einige Wochen bis Monate in Anspruch nehmen kann: Erkennt der Versicherer die Infektion nicht als Arbeitsunfall an, muss der Mitarbeiter zunächst Widerspruch einlegen.

Nach Abschluss dieses Verfahrens kann der Versicherte Klage beim Sozialgericht einreichen, das dann über die Anerkennung als Arbeitsunfall entscheidet. Erst danach ist es für den Mitarbeiter sinnvoll, gegebenenfalls Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitgeber geltend zu machen.

Das Risiko einer Zivilklage im Zusammenhang mit einem Covid-19-Ausbruch sei also überschaubar, folgert Quabach. „Wenn allerdings Vorschriften konsequent missachtet wurden, kann es natürlich sein, dass die verantwortlichen Personen gegenüber den Mitarbeitern haften.“

Anwältin Bertke sieht das etwas anders: „Im Fall einer Klage vor dem Zivilgericht ist der Mitarbeiter klar im Vorteil“, warnt die Juristin. Er muss aufgrund einer Beweiserleichterung noch nicht einmal nachweisen, dass er sich auch tatsächlich im Betrieb mit Covid-19 infiziert hat. „Für Arbeitgeber ist das ein enormes Risiko.“

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