Überbeschäftigung
Schluss jetzt! So lösen Sie Probleme mit Überstunden

Arbeiten Angestellte regelmäßig länger, kostet das nicht nur Geld – es ist auch ein Führungsproblem. Welche negativen Auswirkungen Überstunden für Unternehmen haben und wie Sie klug gegensteuern.

4. März 2024, 10:41 Uhr, von Kathrin Halfwassen, Redakteurin

Überbeschäftigung
© Anton Vierietin / iStock / Getty Images Plus

Bis Anfang 2024 nutzte impulse ein ­Zeiterfassungssystem, das in einem Detail nicht mehr zeitgemäß ist: Arbeitet jemand länger als die vorgegebene Arbeitszeit, markiert das System die Überstunden grün – aka „Gut gemacht, weiter so!“ Geht jemand früher, gibt es ein Rot – als Warnsignal für mögliche Minderleistung.

Schlüssiger wäre laut Fachleuten die umgekehrte Farb­gebung, denn: „Eine hohe Zahl an Überstunden zeigt in den allermeisten Fällen an, dass in ­einem Betrieb etwas nicht stimmt. Bei der Planung, den Prozessen, der Unternehmenskultur – oder bei allem zusammen“, sagt Guido ­Zander, Geschäftsführer der SSZ Beratung aus Feld­kirchen bei München. Er hilft Betrieben, Dienstpläne und Arbeitszeitmodelle zu optimieren. Ein Problem, das offenbar viele Betriebe ­teilen: Laut Institut für Arbeitsmarkt- und ­Berufsforschung leisteten Mitarbeitende hierzulande 2022 rund 1,3 Milliarden Überstunden, durchschnittlich 31 pro Beschäftigtem.

Warum Sie das Problem Überstunden angehen sollten

Wer weiß, wie sich Überstunden vermeiden lassen, macht nicht nur Mitarbeitende zufriedener, sondern auch das eigene Unternehmen erfolgreicher. Schließlich hat regelmäßige Zusatz­arbeit drastische negative Folgen.

Da ist zum einen die sinkende Produktivität: Studien zufolge ist es Menschen schon nicht möglich, sich acht Stunden lang voll zu konzentrieren. Ab dem späten Nachmittag sinkt die Leistungsfähigkeit der meisten Menschen besonders rapide.

„Wer oft länger arbeitet, verbringt dann ganz natürlich mehr Zeit in der Kaffeeküche oder beim Daddeln im Internet, um es überspitzt auszudrücken“, erklärt Florian Schweden, ­Arbeitspsychologe und Geschäftsführer von ­Inago, dem Institut für Arbeitsgestaltung und ­Organisationsentwicklung in Hamburg und Halle. Durch die geringere Produktivität zahlten Unternehmen folglich für Überstunden ­relativ betrachtet mehr – mögliche Zuschläge nicht eingerechnet.

Hinzu kommt: Arbeiten Angestellte ständig mehr, als sie es wünschen, kann das in die Überlastung führen. „Wir sehen, dass Menschen, die überbeschäftigt sind, ihre Gesundheit häufig negativer einschätzen, sich gestresster und ausgelaugter fühlen“, sagt Maike Andresen, die als Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bamberg zu Überbeschäftigung (wissenschaftlich: „Overemployment“) forscht. Darüber hinaus nehme das Engagement ­Angestellter ab, die Arbeits­zufriedenheit sinke, ebenso die Identifikation mit dem Unternehmen – wodurch die Bereitschaft, den Job zu wechseln, steige.

Was sind die Hauptursachen für Überstunden?

Überstunden-Ursache 1: Un­realistische Personal-Planung

„Gerade in kleinen Betrieben ­gehört Personalplanung oft nicht zu den Kernkompetenzen der Inhaberinnen und Inhaber“, sagt Guido Zander. „Ich kann das durchaus nachvollziehen. Aber wer nie korrekt ermittelt, wie viel Personal der Betrieb wirklich braucht, investiert unnötig viel Zeit, Geld und Nerven, weil man immer wieder nur auf Sicht fährt“, sagt der Berater.

Ein typischer Fehler sei, mit Best-Case-Szenarien zu planen und Ausfälle durch Krankheit und Urlaub außer Acht zu ­lassen. „Oft läuft die Kalkulation nach dem Motto: ‚Ach, wenn alle vor oder nach dem Urlaub ein wenig mehr arbeiten, haut das schon hin.‘“

Formel, um den Personalbedarf realistisch zu ermitteln

Um solche Überstunden mit Ansage zu verhindern, hilft Guido Zander zufolge eine Formel, die leichter ausgefüllt ist, als es wirken mag. Hierfür brauchen Sie nur zwei Werte. Erstens: den Nettobedarf an Mitarbeitenden, also die Zahl der Leute, die Sie für einen Arbeitsbereich oder zur Erstellung eines Produkts benötigen. Zweitens: die Abwesenheitsquote. Sie entspricht dem Anteil aller Fehlzeiten wie Urlaub, Krankheit und Fortbildung an der Gesamtarbeitszeit. Diese beiden Werte tragen Sie in die folgende Formel an der entsprechenden Stelle ein. Reminder: Punktrechnung geht vor Strichrechnung.

Formel zur Personalermittlung 1© impulse

Ein Rechenbeispiel

Eine Druckereibesitzerin hat eine Maschine, die sie mit 4 Personen von Montag bis Freitag am Laufen halten will. Es wird in 3 Schichten gearbeitet. Ihr Nettobedarf liegt also bei 12 Mitarbeitenden. Die Unternehmerin gewährt 30 Tage Urlaub, das entspricht 12 Prozent an der Gesamtarbeitszeit. Dazu fallen ihre Angestellten krankheitsbedingt an durchschnittlich 8 Prozent der Tage aus. Die Abwesenheitsquote liegt damit bei insgesamt 20 Prozent. Das ergibt folgende Rechung:

Formel Personalermittlung 2© impulse

Der tatsächliche Personalbedarf der Druckereibesitzerin, um die eine Maschine wie geplant am Laufen zu halten und alle Abwesenheiten auszugleichen, liegt demnach bei 15 Mitarbeitenden.

Überstunden-Ursache 2: Fehleinschätzungen zum Arbeitsaufkommen

Abgesehen von der Personalplanung ­empfiehlt Personalplanungs-Experte Zander, zu analysieren, wie sich der Personalbedarf verteilt. Und dabei zu prüfen, inwieweit sich über das Jahr, den Monat und eventuell sogar die Woche hinweg Muster ­erkennen lassen, wann besonders viele Überstunden entstehen. „Viele setzen auf starre Dienst- und Schichtpläne, so, als hätten sie zu jeder Zeit gleich viel zu tun. Das war früher vielleicht so, aber heute schwankt das Arbeitsaufkommen in den allermeisten Unternehmen teilweise sehr stark.“

So begegneten dem Berater etwa immer ­wieder Händler, die jedes Jahr aufs Neue überrascht seien, dass Weihnachten komme: „Und dann fordern Führungskräfte so eine guerillamäßige Flexibilität von Angestellten, etwa, indem sie Zusatzschichten mit einer Frist von einem Tag ansetzen. Oft gegen jede vertrag­liche Vereinbarung.“ Besser sei es, Arbeitszeitmodelle sowie Dienstpläne zu flexibilisieren und an planbare Auftragsspitzen anzupassen.

Was sind neben Überstunden weitere Aspekte von Überbeschäftigung?

Die BWL-Professorin Maike Andresen rät darüber hinaus, den Blick zu weiten und nicht allein die Zahl der Überstunden zu betrachten: „Diese ist nur eine Facette von Overemployment. Aufgabendichte und -verteilung sind zwei weitere Faktoren, sie werden aber oft übersehen.“

So schlichen sich in vielen Unternehmen über die Jahre ungünstige Prozesse ein, die bei Angestellten das Gefühl, überbeschäftigt zu sein, fördern könnten – selbst ohne anfallende Überstunden. Etwa wenn Mitarbeitende zu viele Aufgaben in einem bestimmten Zeitrahmen erledigen müssten. Oder wenn operative To-dos den Arbeitsalltag derart dominierten, dass zu wenig Raum für spannende, strategische oder kreative Aufgaben bliebe, die Angestellte als sinnvoller empfänden, so Andresen.

Wie sollten Führungskräfte Überbeschäftigung angehen?

1. Die eigene Vorbildwirkung überprüfen

Arbeitspsychologe Florian Schweden empfiehlt Unternehmerinnen und Unternehmern, auf den eigenen Umgang mit Arbeit und Überstunden zu schauen: „Wenn Angestellte sehen, die ­Chefin bleibt bis 20 Uhr im Büro und verschickt am nächsten Morgen um fünf den aktuellen Dienstplan, vermittelt das den Teammitgliedern natürlich, allzeit bereit sein zu müssen. Zumal, wenn sie Karriere machen wollen. Das führt dann zwangsweise zu jeder Menge leerer Überstunden.“

2. Das Team befragen

Daneben raten alle drei Fachleute dazu, sich mit den Angestellten zum Thema Überbeschäftigung auszutauschen. Wenig originell, wie Arbeitspsychologe Schweden zugibt. Aber: Es gebe keine bessere Möglichkeit, um die konkreten Ursachen des Problems in einem Unternehmen auszumachen und Lösungen zu entwickeln.

Wichtig sei dabei, keine geschlossenen Fragen zu stellen, wie: „Wer von euch findet, dass er oder sie zu viele Überstunden hat?“ „So wird nichts Gutes kommen“, sagt Schweden. Erfolgversprechender seien Fragen wie: „Was denkt ihr, wieso bei uns so viele Überstunden auflaufen? Wie könnten wir das verhindern?“ Auch die Einladung, einmal die Perspektive zu wechseln, helfe, etwa so: „Wenn du in meiner Rolle der Geschäfts­führerin wärst, was würdest du ändern, damit ­weniger Überstunden anfallen?“

3. Das Thema immer wieder ansprechen

Für Expertin Maike Andresen ist entscheidend, Überbeschäftigung regelmäßig zu thematisieren. Denn den Mitarbeitenden seien oft die verschiedenen Aspekte von Overemployment ebenso wenig bewusst wie vielen Führungskräften. „Dem können Sie begegnen, indem Sie etwa in den normalen Teammeetings einfach immer wieder mal fragen, wie es allen geht. Ob alle alles haben, was sie brauchen, wer Druck spürt und gern Aufgaben abgeben würde.“

Auch Planungsberater Guido Zander sieht in mehr Kommunikation den Grundstein, Überstundenprobleme anzugehen: „Wenn Führungskräfte anfangen, mit ihrem Team über Überstunden zu sprechen, sind sie häufig überrascht davon, was da kommt – auch an konkreten Lösungsideen.“ So habe er einmal ein Unternehmen beraten, in dem die Angestellten saisonal mehr arbeiten mussten und dies auch gern getan hätten.

Was das Team störte: Sie durften nur zehn Überstunden ins nächste Jahr mitnehmen, wodurch viele sich diese hätten auszahlen lassen müssen. Dabei sei zu Jahresbeginn stets weniger los gewesen, sodass es kein Problem dargestellt hätte, die Überstunden im Januar und Februar ab­zubummeln. „Diese Kleinigkeit zu ändern hat die ­Zufriedenheit im Team damals deutlich ­verbessert“, erzählt Zander.

4. Generelle Reduktion der Arbeitszeit als Option durchdenken

Ist alles Organisatorische auf der Reihe, lohnt es sich Arbeitspsychologe Schweden zufolge, einmal grundlegender über Arbeit und Arbeitszeit nachzudenken. Arbeit sei heute viel komplexer, vielfältiger und verdichteter als noch vor zehn, 15 Jahren – und schon ein Acht-Stunden-Tag damit deutlich belastender für Angestellte als früher.

Daher sollten Chefinnen und Chefs nicht nur überlegen, wie sie Überstunden vermeiden könnten, sondern auch, ob nicht eine generelle Reduktion der Arbeitszeit bei gleichem Gehalt – ohne zusätzliche Verdichtung – eine Option sei. „Sich tiefere Gedanken zu diesem Thema zu machen hilft, die Zukunft der Firma zu sichern. Denn: Wenn Holz abbrennt, schlagen Sie einfach den nächsten Baum. Der Mensch aber ist keine vernutzbare Ressource: Einmal verbraucht, kriegen Sie den nicht so schnell zurück – und schon gar nicht mit der normalen Leistungsfähigkeit.“