Sprachbarriere im Job
5 Tipps, wie die Zusammenarbeit gelingt – trotz fehlender Sprachkenntnisse

Menschen einzustellen, die noch kein Deutsch können, bedeutet zunächst mehr Aufwand. Doch das lohnt sich. Zwei Beispiele, wie sich ein internationales Team führen lässt.

9. April 2024, 10:31 Uhr, von Myriam Apke

Sprachbarriere im Job
Lennart Moss ist Geschäftsführer der Scharnebecker Mühle aus Boizenburg in Niedersachsen
© Jérome Gerull für impulse

Freitag, 1. September 2028. 130 Jahre Scharnebecker Mühle! (…) Seit ­Stunden läuft unser Jubiläumsfest. Zusammen mit allen Kollegen und den Partnern tanzen wir (…). Die Stimmung ist ausgelassen. (…) sämtliche Kulturen aus dem Team spiegeln sich im Essen wider. So steht es in der Unternehmensvision der Scharnebecker Mühle aus Boizenburg in Niedersachsen.

Das Unternehmen stellt Futter für Nutztiere her und beschäftigt rund 40 Mitarbeitende – bis zum Jubiläum im Jahr 2028 sollen es 55 sein, so steht es in der Vision.

Das Wachstum bringt auch eine besondere Herausforderung mit sich: ein zunehmend internationales Team zu führen. Etwa ein Drittel der Belegschaft kommt derzeit aus dem Ausland, die meisten aus Ost- und Südosteuropa. Sie arbeiten vor allem in der Produktion.

„Je größer das Unternehmen wurde, desto mehr Menschen anderer Nationalität haben wir beschäftigt“, sagt Geschäftsführer Lennart Moss. Bereits sein Vater stellte in den 1980er-Jahren Auszubildende aus Indien und ­Pakistan ein, später kamen Menschen aus ­Russland. Die ­Zusammenarbeit lief gut, der Personalbedarf wuchs, also warben die russischen Beschäftigten Bekannte und Verwandte an.

„Untereinander haben die sich natürlich gut verstanden. Mit uns hingegen war die Verständigung zunächst nicht ganz einfach“, erinnert sich Moss, der die Scharnebecker Mühle seit 2012 in fünfter Generation führt. Das änderte sich, als die Zugewanderten Beziehungen zu den Menschen vor Ort aufbauten und in der Folge Deutsch lernten. „Dadurch lösten sich Unsicherheiten im Umgang miteinander und die Blockbildung der Kulturen auf.“ Moss weiß, dass sein Unternehmen ohne seine vielfältige Belegschaft nicht da wäre, wo es heute steht.

Nicht nur Lennart Moss ist auf zugewanderte Arbeitskräfte angewiesen: Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft konnten im Dezember 2023 mehr als 500 000 Stellen nicht besetzt werden. Die Regierung fördert deswegen die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte nach Deutschland. Unternehmerinnen und ­Unternehmer müssen sich darauf einstellen, künftig verstärkt internationale Teams zu führen. Das stellt sie vor viele Herausforderungen: Sie müssen für kulturelle Unterschiede sensibilisieren, Grüppchenbildung vermeiden und – wortwörtlich – für Verständigung sorgen. Wie kann das gelingen?

1. Zeigen Sie die richtige Haltung

Das Beispiel der Scharnebecker Mühle zeigt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Zuletzt kam ein Mann aus Tadschikistan ins Team. Um ihn schnell zu integrieren, überlegte Moss erstmals, einen Sprachkurs zu organisieren: „Bisher war das einfach nicht nötig, da hat das Team das unter sich geregelt.“ Die meisten sind über Kontakte in den Betrieb gekommen. „Wer jemanden vermittelt hat, der hat sich auch gleich darum gekümmert, dass die Person gute Arbeit leistet.“ Dazu gehörte auch, für den Neuen zu übersetzen. Allerdings kann in der Scharnebecker Mühle niemand tadschikisch.

Für Moss war das dennoch kein Grund, den Mann abzulehnen: „Aus meiner Sicht ist die Haltung das Entscheidende, nicht die ­Sprache“, sagt der Unternehmer. „Wenn wir einander offen und respektvoll begegnen – und das äußert sich ja nicht nur in Worten – kann Zusammenarbeit gut funktionieren.“ Entscheidend seien Interesse und Engagement, „den Rest kriegt man organisiert“, sagt Moss.

Dass er diese Haltung lebt, zeigt sich am ­Beispiel der Unternehmensvision: Diese wurde mit allen Mitarbeitenden gemeinsam geschrieben – unabhängig von Nationalität und Sprachkenntnissen. Dafür ließ er alle Inhalte, die der Führungskreis erarbeitet hatte, übersetzen. Das war weder teuer noch aufwendig: Er nutze ganz einfach das kostenlose Tool ChatGPT. So hatte jeder – egal, ob aus Produktion, Vertrieb oder Verwaltung – die Möglichkeit, Punkte zu ergänzen, Fragen zu stellen und zu korrigieren.

2. Nutzen Sie einfache ­Sprache

Klar komme es aufgrund der unterschiedlichen Sprachen auch zu Missverständnissen, so Moss. So würden Arbeitsanweisungen manchmal nicht richtig verstanden und Fehler passieren, etwa dass das Futtermittel nicht richtig zusammengestellt wird. Das läge aber oft nur ­daran, dass die Menschen nicht unhöflich sein und keine Umstände machen wollen. „Des­wegen sagen sie einfach, sie hätten verstanden, selbst wenn dem nicht so ist“, sagt Moss. Tragisch findet er das nicht, man müsse sich ­einfach angewöhnen nachzufragen.

Judith Eggers und Marlene Gütt von der RKW Servicestelle Deutsch am Arbeitsplatz in Bremen können das bestätigen. Sie beraten kleine und mittelständische Unternehmen, die Mitarbeitende ohne Deutschkenntnisse beschäftigen. „Entscheidend ist der Wille, offen zu sein und den Arbeitsort als Lernort um­zugestalten“, sagt Eggers.

Das heißt vor allem, sich Zeit zu nehmen, sagt Gütt: Es brauche immer beide Seiten: Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Nur wenn beide Seiten sich umeinander bemühen, könne langfristig Zusammenarbeit möglich werden. „Wir nennen das Brückenansatz“, so Gütt.

Führungskräfte sollten sich daher die Zeit nehmen, Aufgaben einfach zu formulieren und nachzufragen, ob und was verstanden wurde. So könnten zum Beispiel alle im Team darauf achten, Komposita aufzubrechen, sagt Judith Eggers. Konkret heißt das: Aus dem komplexen Wort „Tierfuttermittelhersteller“ wird „Hersteller für Tierfutter“. Zudem hilft es, Präfixe oder Suffixe zu vermeiden: Der Satz „Das Futter ist unverkäuflich“ könnte in „Das Futter kann nicht verkauft werden“ umformuliert werden. „Sprache ist komplex, gerade die Deutsche“, sagt Eggers. „Das müssen sich ­Arbeitgeber immer wieder vor Augen führen.“

3. Nutzen Sie neue ­Technologien

Im Unternehmen von Kathrin Kowalski, der Pronstorfer Hotel und Event GmbH, arbeiten die anderssprachigen Mitarbeitenden in den Bereichen Facility Management, Housekeeping und Spülküche – also überall dort, wo keine Dokumentation oder Beratung von Kunden ­nötig ist. Die Sprache ist hier nicht das Ein­stellungskriterium, sondern ob die Menschen „verlässlich und fleißig sind“, sagt Kowalski.

Die Unternehmerin beschäftigt vor allem Menschen aus Polen. Kommunikationsprobleme gebe es nicht, obwohl sie weder Polnisch noch Englisch spricht, sondern Deutsch und Russisch. „Das liegt daran, dass wir immer ­jemanden haben, der schon länger für uns ­arbeitet und vermitteln kann“, sagt Kowalski. Und wenn keiner aus dem Team verfügbar ist, wird eben mal schnell das Smartphone ­gezückt.

Online gibt es zahlreiche Übersetzungstool wie Google Translator oder Deepl Translate, die ihre Dienste gratis zur Verfügung stellen. Und wenn es um vertrauliche Gespräche und Dokumente geht, lässt sich auch ein profes­sionelles Übersetzungsbüro beauftragen. Diese arbeiten ebenfalls schnell und müssen nicht teuer sein.

In der Regel klappt es in dem Hotel- und Eventbetrieb aus dem ­schleswig-holsteinischen Pronstorf aber so mit der Kommunikation, sagt ­Kathrin Kowalski: „Ich glaube, es geht mehr um ein gemeinsames Verständnis von Arbeit und Verbindlichkeit als um Sprache.“

Auch die Bremer Servicestelle befürwortet den Einsatz digitaler Tools, die beim Übersetzen helfen. Besonders, wenn es schnell gehen muss, können Apps und Künstliche Intelligenz nützlich sein. Allerdings sind sie kein Allheilmittel: „Berufliche Kommunikation ist viel mehr als nur die Fachsprache“, sagt Marlene Gütt. Damit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Job ankommen, brauche es immer eine ­soziale Komponente.

4. Stärken Sie den ­Zusammenhalt

Lennart Moss ließ die Vision der Scharnebecker Mühle bewusst von allen im Team schreiben. So ­kamen Menschen aus verschiedenen Nationen, Abteilungen und Standorten zusammen. Mitarbeitende aus der Produktion kamen ins Büro, wo sie gemeinsam mit Verwaltung und Vertrieb über Inhalte und Formulierungen diskutierten. „Es war spannend zu sehen, wie viel Konzentration das allen abverlangte“, erklärt Moss. Dennoch: Das Team blieb dran und feilte an der Vision, bis alle sie gut fanden.

Durch diesen Prozess rückten alle enger ­zusammen. Um den Zusammenhalt und die Kommunikation weiterhin zu stärken, veranstaltet die Scharnebecker Mühle regelmäßig Teamevents. Gemeinsame Grillabende, Kanutouren, Weihnachtsfeiern oder Betriebsfeste sollen den Austausch lebendig halten. „Ich denke, dass wir durch diese Maßnahmen langfristig ein gemeinsames Verständnis für den Betrieb und füreinander entwickeln.“

5. Binden Sie andere aus dem Team ein

Spracherwerb „on the Job“ ist nur möglich, wenn alle im Team mitziehen. Führungskräfte sollten deshalb im Betrieb dafür sensibili­sieren, dass Deutschlernen Zeit und Geduld braucht. „Da gibt es viele sprachliche Codes, die es zu knacken gilt“, sagt Judith Eggers von der Servicestelle Bremen. Zum Beispiel gibt es große Unterschiede zwischen den Kulturen, wie Kritik geäußert wird. Hier hilft es, solche unausgesprochenen Feedbackregeln zu thema­tisieren. Vorgesetzte könnten etwa erklären, wie, wann und wer etwas äußern darf.

Gleiches gilt für interne Prozesse, wie zum Beispiel die Krankmeldung: Wem ist Bescheid zu geben, bis wann und wie? Und: Wer hilft, wenn es Probleme mit Behörden gibt? Was ist eigentlich ein Betriebsrat, eine Gleichstellungsbeauftragte oder eine Gewerkschaft? „Für viele Menschen aus anderen Ländern ist ja wirklich alles neu“, sagt Eggers.

Andere Mitarbeitende können den Neuen dabei helfen, diese Hürden zu meistern. Das gilt besonders für diejenigen, die diesen Prozess selbst schon hinter sich haben, weil sie ­irgendwann mal Deutsch lernen mussten, um hier arbeiten und leben zu können. Aber auch andere Teammitglieder können aktiv einbezogen werden: Zum Beispiel können Sprachtandems gebildet oder Mitarbeitende zum Thema Lernen am Arbeitsplatz ausgebildet werden.

„Wichtig ist, dass die Mitarbeitenden Lust darauf haben, die Lernförderung zu unterstützen“, sagt Eggers. Das gilt auch für Unter­nehmerinnen und Unternehmer, die sich wie ­Kathrin Kowalski oder Lennart Moss darauf einlassen, Menschen ohne Deutschkenntnisse einzustellen. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass anderssprachige Mitarbeitende oft sehr loyal und dankbar sind, derart unterstützt zu werden, und in ihrem Umfeld neue Fachkräfte akquirieren.