Online-Schulungen
„Lernen auf Vorrat funktioniert nicht“

Wer seine Mitarbeiter in der Coronakrise schulen will, muss auf Online-Formate umsteigen. Nur: Wie lässt sich Wissen digital vermitteln? Dirk Rosomm, Experte für E-Learning, erklärt, was dafür nötig ist.

10. August 2021, 14:52 Uhr, von Peter Neitzsch, Wirtschaftsredakteur

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Online-Schulungen
© A. Martin UW Photography/Moment/Getty Images

Präsenzseminare sind während der Corona-Pandemie nur eingeschränkt möglich. Doch das ist kein Grund, alle Fort- und Weiterbildungen ausfallen zu lassen. Bildungsexperte Dirk Rosomm erklärt im Interview, wie digitale Lernangebote aussehen müssen, damit das Team motiviert lernt.

impulse: Herr Rosomm, was sollten Chefs über das Lernen wissen?

Dirk Rosomm: Zwangslernen, Reports und Kontrollen erhöhen nur die negativen Emotionen im Lernprozess. Das ist wie in der Schule: Dort hat mir Lernen nie Spaß gemacht. Ich war ein Bildungsverweigerer und habe viel Zeit auf dem Flur verbracht. Erst mit Anfang 30 habe ich ein Seminar zu Lerntechniken besucht. Es war ein Erweckungserlebnis, zu sehen, wie viel Spaß gehirngerechtes Lernen macht. Menschen lernen nicht nach Schema F, sondern brauchen individuelle Lernangebote. Dann fällt Lernen sehr viel leichter.

Wie können Unternehmer ihre Mitarbeiter motivieren, zu lernen?

Die Darreichungsform ist relativ egal, wenn die Relevanz stimmt. Im privaten Bereich ist die Motivlage oft ausgezeichnet: Man hat zum Beispiel ein Hobby, in dem man besser werden will. Aber im Arbeitsleben ist das anders, da wird man häufig vom Chef in die Fortbildung geschickt. Das ist natürlich Gift für die Motivation. Da fällt es sehr viel schwerer, Relevanz herzustellen. Aber genau das müssen Chefs und Chefinnen tun.

Wie genau soll das geschehen?

Die Lernmotivation folgt einer einfachen Frage: Brauche ich das, und wenn ja, wann? Menschen benötigen ein egoistisches Motiv zum Lernen. Sie wollen wissen, was sie davon haben. Statt Mitarbeiter einfach zu einer Fortbildung zu schicken, sollten Chefs also fragen: Wo möchtest du dich im Unternehmen hinentwickeln und welche Kompetenzen brauchst du dafür? Wer das selbst entscheiden kann, hängt sich auch mehr rein.

 

Manchmal geht es auch nur darum, dass alle lernen, die neue Software zu beherrschen.

Wenn eine neue Software eingeführt wird, dann ist das eigentlich keine Frage für eine Schulung, sondern ein umfassendes Change-Projekt. Dabei sollte es immer auch genug Raum geben, um die Frage nach dem Warum zu beantworten. Chefs können einen Lernverweigerer auch überzeugen, indem sie fragen: Was wären die Folgen, wenn du das nicht kannst? Zu welchen Problemen führt das im Arbeitsalltag? Menschen verändern ihre Haltung zu einem Thema durch Selbstreflexion.

Wenn die Lernbereitschaft stimmt: Welche Alternativen zu Präsenzseminaren gibt es insbesondere in der Coronakrise?

Viele Unternehmen haben ihre Seminarräume geschlossen. Aber es gibt zum Glück eine Menge Alternativen. E-Learning hatte lange Zeit ein etwas angestaubtes Image – man dachte an langweilige Online-Präsentationen, die man durchklicken musste. Dabei gibt es viel mehr Möglichkeiten: Videos etwa oder spielerische Ansätze. Die Pandemie ist auch im Bildungsbereich ein Brandbeschleuniger für die digitale Transformation.

Wozu braucht es überhaupt E-Learning im Betrieb? Es lief doch bislang auch ohne.

Aber lief es auch gut? Wer glaubt, dass Seminare nachhaltig etwas verändern, macht sich doch etwas vor. Bei Tests können sich die Teilnehmer meist nur an einen Bruchteil der Inhalte erinnern. Der eigentliche Reiz von Präsenzseminaren liegt im Sekundärnutzen: Man tauscht sich aus, pflegt sein Netzwerk und trifft sich an der Hotelbar. Das steht meist auch in den Feedbackbögen: Der Austausch mit den Kollegen war sehr wertvoll.

Was macht E-Learning da besser? Lernen die Teilnehmer vorm Bildschirm mehr?

E-Learning kann zwei Dinge: erstens Lerninhalte zur Verfügung stellen, wenn sie gebraucht werden. Das funktioniert wie bei Youtube: Wenn Sie etwas wissen wollen, sehen Sie sich das „Do it yourself“-Video an. Und zweitens lassen sich Lerntempo und Wiederholungsnotwendigkeit individuell anpassen: Jeder guckt das Video so oft, bis er oder sie es verstanden hat. Außerdem sind die Lerninhalte viel besser portioniert, in kleine, leichter konsumierbare Wissenshappen.

Gibt es noch weitere Gründe für digitales Lernen – jenseits von Corona?

Wissen veraltet mittlerweile so rasant, dass „Lernen auf Vorrat“ nicht mehr funktioniert. Wenn es für einen Lerninhalt in den nächsten zwei bis drei Wochen kein Anwendungsszenario gibt, merke ich mir das nicht. Zum Beispiel Pivot-Tabellen in Excel: Wenn ich das nicht gleich verwende, vergesse ich es wieder. Digitale Angebote sind das Gegenteil von Lernen auf Vorrat: Man kann sich Wissen dann aneignen, wenn man es braucht.

Wie müssen gute E-LearningAngebote aussehen, damit sie angenommen werden?

Je weniger die Inhalte zu mir passen, desto schneller sinkt meine Motivation. Lösungsorientiertes Wissen, das ich in der Praxis sofort gebrauchen kann, eigne ich mir dagegen gern an. Lerninhalte müssen also auf die Situation der Teilnehmer angepasst werden. Deshalb sollte man zuerst abfragen, wo die Mitarbeiter stehen.

Eigene digitale Lerninhalte – lohnt sich das nicht nur für Konzerne?

Das hat nichts mit der Größe zu tun, sondern mit dem Bedarf – und den gibt es nicht nur bei Konzernen. Wer ständig neue Mitarbeiter einarbeitet, der kann das möglicherweise mit Lehrvideos eleganter und günstiger lösen. Das kann sich auch für kleine Projekte lohnen, wenn sich dadurch ein zusätzliches wirtschaftliches Potenzial ergibt: Einfach mal die 32 Handgriffe an der Maschine abfilmen, und der Experte im Betrieb ist dauerhaft davon entlastet, immer wieder Kollegen zu helfen oder diese schulen zu müssen.

Womit würden Sie anfangen, wenn es so etwas im Betrieb bislang noch nicht gab?

Ich bin immer für Pilotprojekte. Allerdings nach dem Motto: klein, aber richtig. Das bringt langfristig mehr, als wenn man versucht, alles zu ändern, das aber dann nur halbherzig angeht oder ohne das nötige Budget. Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen qualifizierten Mitarbeitern und Firmenerfolg. Trotzdem investieren viele Unternehmer nicht ausreichend in Wissenserwerb. Dabei sollte das denselben Stellenwert haben wie zum Beispiel die Verkaufszahlen.

 

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