Mitarbeiter abwerben
Was beim Abwerben von Mitarbeitern erlaubt ist – und wann Strafen drohen

Auf der Suche nach Top-Talenten überschreiten einige Unternehmen rechtliche Grenzen. Wann das Abwerben von Mitarbeitern strafbar ist – und was Sie tun können, um Abwerbung zu verhindern.

29. August 2024, 10:59 Uhr, von Myriam Salome Apke

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Figuren im Anzug werden mit einem Magneten aus einer Reihe von Personen herausgezogen bzw. an den Magneten nach oben gezogen.
Mitarbeiter abzuwerben kann unter Umständen strafbar sein.
© shamim howlader / iStockphoto / Getty Images

Noch nie waren Mitarbeitende so offen für einen Jobwechsel, noch nie fühlten sie sich weniger an ihren Arbeitgeber gebunden. Das ist zumindest ein Ergebnis des „Gallup Engagement Index“, einer Langzeitstudie zur Motivation von Angestellten, die seit 2001 durchgeführt wird. Laut aktuellem Index aus dem Jahr 2023 ist fast die Hälfte (45 Prozent) der deutschen Arbeitnehmenden entweder aktiv auf der Suche oder offen für eine neue Stelle.

Um die Top-Kräfte zu überzeugen, lassen sich Unternehmen einiges einfallen. Sind die Besten bei der Konkurrenz unter Vertrag, stellt sich für viele die Frage: Wann darf man Mitarbeiter abwerben?

Unternehmen bewegen sich hier in rechtlichen Grauzonen: Mitarbeiter abwerben ist zwar grundsätzlich zulässig, allerdings nur, wenn dadurch Wettbewerbern nicht gezielt geschadet wird. Sind Zweck oder Mittel der Abwerbung unlauter – oder beides zusammen –, ist dies strafbar. Vorausgesetzt, es lässt sich beweisen.

Wo die juristischen Grenzen liegen und warum Wertschätzung das beste Mittel ist, um sich vor Abwerbung zu schützen.

Was gilt beim Abwerben von Mitarbeitern?

Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte sind in Deutschland grundsätzlich frei wählbar. Solange Mitarbeitende die Kündigungsfristen einhalten, dürfen sie das Unternehmen wechseln, auch zur direkten Konkurrenz (Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG). „Mitarbeiter abwerben ist grundsätzlich erlaubt, wenn Beschäftigte offen für Angebote sind“, sagt Wirtschaftsanwalt Manfred Ehlers, Partner bei der Wirtschaftskanzlei Spieker & Jaeger in Dortmund.

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Um zu überzeugen, dürfen Unternehmen, die Personal abwerben wollen, auch bessere Arbeitskonditionen wie ein höheres Gehalt, mehr Urlaub, bessere Arbeitszeiten anbieten. Auch dürfen explizit Arbeitskräfte angesprochen werden, die spezielle Fähigkeiten und Fachkenntnisse haben und die das abwerbende Unternehmen als besonders wertvoll erachtet. Erlaubt ist ebenfalls, Headhunter damit zu beauftragen, diese qualifizierten Mitarbeiter anzusprechen. Allerdings nur, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (siehe unter Punkt 2).

Wann ist das Abwerben von Mitarbeitern verboten?

Mitarbeiter abwerben ist dann unzulässig, wenn Unternehmen damit einen „verwerflichen Zweck“ verfolgen. „Das ist insbesondere der Fall, wenn sie Konkurrenten gezielt schaden wollen – zum Beispiel, indem sie wichtige Angestellte systematisch abwerben“, sagt Anwalt Ehlers. Das verstößt gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Wird mit der Abwerbung also einzig der Grund verfolgt, Wettbewerber zu schwächen, ist das gesetzeswidrig und kann strafrechtlich verfolgt werden.

Unzulässig wären Abwerbungen in folgenden Fällen:

  1. Ein potenzieller Arbeitgeber fordert einen Angestellten zum Vertragsbruch auf oder motiviert ihn zu einem Verhalten, das die fristlose Kündigung zur Folge hat, wie etwa Diebstahl und Veruntreuung.

„Häufig brauchen Unternehmen so schnell wie möglich neue Mitarbeiter, etwa wegen eines Projekts oder eines neuen Kunden“, sagt Rechtsanwalt Ehlers. „Deshalb kommt es immer wieder vor, dass sie Mitarbeiter drängen, fristlos zu kündigen.“ Da die Voraussetzungen für einen solchen Schritt nur selten vorlägen – dass etwa Arbeitgeber einen wichtigen Grund zur Kündigung liefern (§ 626 BGB) – sei dieses Abwerben von Mitarbeitern in der Regel unzulässig.

  1. Ein Headhunter animiert eine Mitarbeiterin zur Kündigung, indem er den bisherigen Arbeitgeber verunglimpft.Ein solcher Fall wurde vor dem Landgericht Heidelberg verhandelt.

Ein Headhunter hatte einen Arbeitnehmer über das Karriereportal Xing angeschrieben mit den Worten: „Sie wissen ja hoffentlich, in was für einem Unternehmen Sie gelandet sind. Ich wünsche Ihnen einfach mal viel Glück. Bei Fragen gebe ich gern Auskunft.“ Die Nachricht gelangte über den Beschäftigten zum Arbeitgeber, der daraufhin klagte. Nach Ansicht des Landgerichts handelte es sich dabei um eine „wettbewerbswidrige Herabsetzung“, die der Betrieb nicht hinnehmen müsse. Zudem stellte es klar, dass die Kontaktaufnahme als „gezielte Behinderung durch unlauteres Abwerben von Mitarbeitern“ zu werten sei (Az :1 S 58/11).

Prinzipiell ist die Kontaktaufnahme durch Headhunter während der Arbeitszeit allerdings erlaubt. „Das Gespräch darf aber nicht über die Frage nach grundsätzlichem Interesse an einem Jobwechsel und – bei positiver Antwort – einer kurzen Beschreibung der offenen Stelle hinausgehen“, sagt Rechtsanwalt Ehlers.

  1. Ein Unternehmer versucht, einen Mitarbeiter abzuwerben, um über die Person Betriebsgeheimnisse zu erfahren, Wissen abzugreifen und damit den Wettbewerber gezielt zu schwächen.

Ein Beispiel aus der Praxis von Rechtsanwalt Ehlers: Ein westfälischer Apotheker verlor gleich mehrere Angestellte an einen Konkurrenten um die Ecke – und musste in der Folge sein Geschäft schließen. „In diesem Fall lag der Verdacht nahe, dass es bei den Abwerbungen darum ging, einen Wettbewerber loszuwerden“, sagt Ehlers. Juristisch sei das allerdings nicht nachweisbar gewesen, deswegen landete die Angelegenheit auch nie vor Gericht – wie oft in solchen Fällen.

Wenn doch einmal ein Konflikt vor Gericht entschieden würde, argumentierten die Konkurrenzunternehmen meist wie folgt: Sie hätten die Mitarbeiter aktiv abgeworben, weil sie bestimmte Fähigkeiten auch in ihrem Betreib gut nutzen können. Sie könnten damit aber nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass daraufhin weitere Kollegen auf ihr Unternehmen aufmerksam würden und sich ebenfalls um einen Job bei ihnen bemühten.

Am Ende, so Ehlers weiter, werde häufig das Argument ins Feld geführt, es gehe ja nicht darum, die Konkurrenz zu schwächen – was unlauter wäre. Sondern darum, das eigene Unternehmen zu stärken. So hätte sich auch im Beispiel der Apotheke argumentieren lassen.

Ob die Art und Weise, also das Mittel der Abwerbung als verwerflich einzustufen und damit gesetzwidrig ist, wird von Fall zu Fall entschieden. „Das ist Auslegungssache eines objektiv Dritten, also des Gerichts“, sagt Wirtschaftsanwalt Ehlers. „Hier ist entscheidend, wie die Situation eingeschätzt wird. Also ob zum Beispiel ein Telefonat mit einem Headhunter zu lang war, ob Beschäftigten leere Versprechungen gemacht wurden, ob es sachfremde Lockmittel gab, um Angestellte umzustimmen.“

Er erinnere sich zum Beispiel an einen Fall, in dem einem Beschäftigten die Teilnahme an einer Verlosung einer Reise versprochen wurde, „was ja wirklich nichts mit dem Job zu tun hat, also als sachfremdes Lockmittel eingestuft werden kann.“

Welche Möglichkeiten der Abwerbung gibt es noch – und sind diese erlaubt?

Abwerben von Mitarbeitern durch Kollegen

Solange das Arbeitsverhältnis besteht, gilt grundsätzlich die im Arbeitsvertrag vorgeschriebene Treuepflicht. Wechseln Mitarbeiter das Unternehmen, dürfen sie daher nicht versuchen, Kollegen zu überreden, mitzukommen.

Wieder seien solche Fälle in der Praxis aber nur schwer nachweisbar, so Ehlers. Denn dass Teammitglieder in der Pause oder in der Freizeit über berufliche Perspektiven sprächen, sei üblich und nicht verboten. Eindeutig verwerflich sei das Verhalten nur, wenn der abwerbende Mitarbeiter während der Arbeitszeit und wiederholt zur Kündigung und auf den Jobwechsel dränge.

Abwerben von Mitarbeitern durch Headhunter und Corporate Influencer

Dass Headhunter auf Jobplattformen wie LinkedIn und Xing nach Top-Talente suchen, ist klar und zulässig. Anwalt Ehlers beobachtet zudem, dass sogenannte Corporate Influencer bei der Abwerbung von Mitarbeitern immer wichtiger werden.

Corporate Influencer sind Angestellte, die von Unternehmen eingesetzt werden, um indirekt für den eigenen Arbeitgeber in sozialen Netzwerken zu werben. Sie berichten beispielsweise positiv aus ihrem Arbeitsalltag oder hinterlassen gezielt gute Kommentare auf Bewertungsplattformen wie Kununu. „Das ist prinzipiell zulässig und eine sehr subtile Methode, Mitarbeiter auf das eigene Unternehmen aufmerksam zu machen und abzuwerben“, sagt er.

Auch in diesem Fall gilt: Unzulässig wäre nur, wenn einem Unternehmen gezielt Schaden zugefügt wird, wenn zum Beispiel Konkurrenzunternehmen negativ kommentiert und bewertet werden.

Mitarbeiter abwerben durch Prämien

Um wechselwillige Mitarbeitende zu überzeugen, werden oft Prämien versprochen. Diese Methode kann zwar als verwerflich gelten; strafbar ist sie nur, wenn unlautere Umstände hinzukommen, also etwa falsche Versprechungen gemacht werden oder Druck ausgeübt wird. „Macht sich ein Unternehmen einfach nur präsent mit der Wechselprämie, ist das juristisch erlaubt“, sagt Ehlers.

Er berichtet von einem Fall, bei dem eine Leiharbeitsfirma dringend Pflegekräfte gesucht hat. Also stellte sich ein Vertreter direkt vor eine Senioreneinrichtung mit einem Schild, auf dem stand: „Bei Jobwechsel 3000 Euro Prämie“. Solche Aktionen können als dreist beurteilt werden, erlaubt sind sie Ehlers zufolge dennoch. Denn der Vertreter hätte keine direkten Versuche gemacht, Mitarbeitende gezielt abzuwerben: Das Pflegepersonal der Seniorenresidenz habe frei entscheiden können, ob es das Angebot attraktiv findet und das Gespräch sucht.

Unzulässiges Abwerben von Mitarbeitern: Was können Unternehmer tun?

Klar ist wohl, dass es äußerst schwer ist, unlautere Methoden und Zwecke von Abwerbung nachzuweisen – was aber die Voraussetzung ist, um juristisch dagegen vorzugehen. Die Realität zeigt, dass nur sehr wenige Fälle strafrechtlich verfolgt werden. Was können Unternehmen tun, deren beste Leute abgeworben werden? Rechtsanwältin Claudia Posluschny von der Kanzlei Norton Rose Fulbright in München rät ihren Mandanten zu „professioneller Gelassenheit“. Sie bekomme immer Anrufe von „hochemotionalen“ Geschäftsführenden, die gerade von aggressiven Abwerbeversuchen erfahren haben und sofort handeln wollen. „In vielen Fällen kann ich Betroffenen aber nicht dazu raten, juristisch dagegen vorzugehen“, sagt die Arbeitsrechtlerin.

So seien für eine einstweilige Verfügung gegen das abwerbende Unternehmen hohe Hürden zu überwinden, denn: „Die Darlegungs- und Beweislast liegt bei demjenigen, der die einstweilige Verfügung beantragt.“ Also beim aktuellen Arbeitgeber, dessen Personal abgeworben wird. Und selbst wenn ein Gerichtsverfahren begründet sei, würde das nur selten helfen. Denn die Verfahren dauerten häufig länger als erhofft, sagt Posluschny.

Sie hält juristische Maßnahmen deshalb nur dann für sinnvoll, wenn Unternehmer die akute Gefahr sehen, dass die Konkurrenz weitere Schlüsselpersonen oder sogar ganze Abteilungen abwerbe. „Im ersten Schritt empfehle ich dann eine Abmahnung – verbunden mit der Aufforderung, weitere rechtswidrige Abwerbeversuche zu unterlassen“, sagt Posluschny.

Zudem sollten Unternehmen ankündigen, bei weiteren Abwerbeversuchen eine einstweilige Verfügung zu beantragen und gegebenenfalls sogar Schadensersatzforderungen gegenüber den abwerbenden Unternehmen geltend zu machen. „Manchmal reichen bereits glaubwürdige Drohungen, damit Wettbewerber ihre Abwerbeversuche einstellen.“

Wann kann das Mitarbeiter-Abwerben Schadensersatzansprüche begründen?

Schadensersatzklagen sind eine heikle Angelegenheit, weil Unternehmen nicht nur die Verwerflichkeit nachweisen, sondern zudem den Schaden beziffern müssen. „Das geht ja nur über konkrete Angaben zum Gewinnverlust durch die Abwerbung, was äußerst schwer ist“, sagt Rechtsanwalt Manfred Ehlers von der Kanzlei Spieker und Jaeger.

Zudem müssten Unternehmen ihre Bilanzen offenlegen, um alle Schadenposten aufzuzeigen. „Konkret zu beziffern ist der Schaden vermutlich am ehesten, wenn die abgeworbenen Mitarbeiter ein konkretes Projekt verantworten, das in Folge der Abwerbung nicht weiterbearbeitet werden kann.“

Da es so schwer ist, unlautere Abwerbeversuche nachzuweisen, ein Abwerbeverbot zu erwirken oder Schadenersatz zu beantragen, bleibt das beste Mittel: vorbeugen und Beschäftigte halten.

Wie können Sie verhindern, dass Ihre Mitarbeiter sich abwerben lassen?

„Wenn Führungskräfte von Abwerbeversuchen erfahren, sollten sie schnellstmöglich das Gespräch mit den Mitarbeitenden suchen“, sagt Rechtsanwältin Claudia Posluschny von der Kanzlei Norton Rose Fulbright. Das sei nicht nur schneller, sondern meist auch zielführender, als juristische Schritte einzuleiten.

Wertschätzende Kommunikation, die Aussicht auf eine Gehaltserhöhung und mögliche Karriereperspektiven könnten so manchen Angestellten umstimmen und im Betrieb halten. Posluschny betont: „Kleine Gesten sind häufig genauso wirkungsvoll wie großzügige Boni.“

Fest stehe aber auch: Lob und Großzügigkeit in letzter Minute hätten nur wenig Sinn. Wer die Chance erhöhen wolle, dass Mitarbeitende trotz anderer Jobangebote blieben, sollte stets darauf achten, das Team grundsätzlich fair und wertschätzend zu behandeln. Denn was der „Gallup Engagement Index“ neben der nie dagewesenen Wechselwilligkeit zeigt: Mitarbeitende bewerten auch Hygienefaktoren wie eine leistungsgerechte Entlohnung, eine gute Work-Life-Balance und einen fairen Führungsstil so hoch wie nie.

Trotzdem sind viele bereit, ihren aktuellen Arbeitgeber den Rücken zu kehren. Daher empfiehlt Anwältin Posluschny, diese „weichen“ Präventionsmethoden juristisch zu flankieren. So könnten längere Kündigungsfristen, nachvertragliche Wettbewerbsverbote und Geheimhaltungsregeln den Marktwert des Personals deutlich senken. Denn auch bei einem Wechsel zur Konkurrenz sind Kündigungsfristen und bestehende nachvertragliche Wettbewerbsverbote einzuhalten: Suche ein Konkurrenzunternehmen kurzfristig nach neuem Personal, könnten diese Präventionsmethoden verhindern, dass „schnell“ Arbeitnehmer aus dem eigenen Team abgeworben würden. Denn sie würden das eigene Personal unattraktiver machen für Unternehmen, die Mitarbeiter abwerben wollten.

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