Mitarbeiter abwerben
Wie Sie sich gegen die Abwerbung von Mitarbeitern schützen

Unternehmen kämpfen mit harten Bandagen um Personal – und überschreiten dabei oft rechtliche Grenzen. Was erlaubt ist und was nicht: Streifzug durch eine juristische Grauzone.

8. Juni 2021, 05:58 Uhr, Daniel Schönwitz

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Abwerbung von Mitarbeitern
© Andy Roberts/OJO Images/Getty Images

In Berlin und Brandenburg geht seit einigen Monaten die Angst um: Inhaber von Kfz-Werkstätten, Ingenieurbüros und vielen anderen Betrieben fürchten um ihre Top-Leute. Denn der Elektroautobauer Tesla wirbt aggressiv um Fachkräfte für die neue Gigafactory in Grünheide bei Berlin. Gründer Elon Musk persönlich schaltete sich im November via Twitter in die Personalakquise ein und kündigte an, Bewerber höchstselbst zu befragen. Auch andere Großunternehmen legen sich kräftig ins Zeug, um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. So warb Handelsgigant Lidl 2020 per Video um Gastronomie-Angestellte – erntete für den Slogan „Bar war gestern“ aber einen Shitstorm. „Wo ist nur die Fairness geblieben?“, wetterte ein Hotelier auf Facebook und erhielt dafür viel Zuspruch. Wenig später stoppte Lidl die Social-Media-Kampagne.

Die beiden Fälle zeigen: Gerade große Unternehmen, die bisher gut durch die Corona-Pandemie gekommen sind, ziehen im Kampf um Fachkräfte sämtliche Register. Doch auch unter Mittelständlern wird weiter kräftig um Talente, Fach- und Führungskräfte gerungen. Und dabei entsteht schnell eine gefährliche Dynamik. „Wenn Führungskräfte wechseln, versuchen sie danach häufig, frühere Mitarbeiter abzuwerben“, berichtet Manfred Ehlers, Partner bei der Wirtschaftskanzlei Spieker & Jaeger in Dortmund.

Auf einen Abgang folgt deshalb schlimmstenfalls ein Personaladerlass, der Unternehmen schweren Schaden zufügt. Allerdings ist beim Abwerben längst nicht alles erlaubt. Im Gegenteil: Ex-Führungskräfte und Konkurrenzunternehmer bewegen sich häufig in einer rechtlichen Grauzone, wenn sie Mitarbeiter ansprechen.
Aber wo liegen die juristischen Grenzen – und wie können sich Unternehmerinnen und Unternehmer gegen illegale Methoden wehren? impulse beantwortet die wichtigsten Fragen.

Erstens: Wann sind Abwerbungen verboten?

Abwerbungen sind unzulässig, wenn Unternehmer damit einen „verwerflichen Zweck“ verfolgen. „Das ist insbesondere der Fall, wenn sie Konkurrenten gezielt schaden wollen – zum Beispiel, indem sie wichtige Angestellte systematisch abwerben“, sagt Wirtschaftsanwalt Ehlers.
Allerdings ist es häufig unklar, wann die Grenze zur Rechtswidrigkeit überschritten ist. Ehlers erinnert sich an einen westfälischen Apotheker, der gleich mehrere Mitarbeiter an einen Konkurrenten um die Ecke verlor – und danach dichtmachen musste. „In diesem Fall lag der Verdacht nahe, dass es bei den Abwerbungen darum ging, einen Wettbewerber loszuwerden“, sagt Ehlers.

Juristisch sei das allerdings nicht nachweisbar gewesen. Vor Gericht ergibt sich in solchen Fällen meist ein Bild, das eher an den Goethe-Vers „Halb zog sie ihn, halb sank er hin“ erinnert: Klar, sie hätten die Mitarbeiterin aktiv abgeworben, argumentieren Konkurrenten dann. Die wiederum habe daraufhin ihren Ex-Kollegen vom neuen Job vorgeschwärmt. Völlig unbefangen, versteht sich. Und dann hätten diese Kollegen selbst die Initiative ergriffen und sich um einen Job bemüht.

Zudem argumentieren Abwerbende häufig erfolgreich, dass sie nicht die Konkurrenz schwächen, sondern sich selbst stärken wollen. So ließe sich bei der Apotheke ins Feld führen, dass Abgeworbene das Umfeld und die Menschen kennen – und damit besonders wertvoll sind.
Wie nah solche Darstellungen an der Wahrheit sind, lässt sich in der Regel schwer aufklären. „Der Versuch, systematisches Abwerben nachzuweisen, scheitert häufig“, warnt Claudia Posluschny, Arbeitsrechtlerin bei Norton Rose Fulbright in München.

Zweitens: Welche Abwerbemethoden verboten sind

Einfacher ist der Nachweis einer „verwerflichen“ Abwerbemethode. Das können zum Beispiel Headhunter-Anrufe während der Arbeitszeit sein. „Eine solche Kontaktaufnahme ist zwar erlaubt“, sagt Ehlers von Spieker & Jaeger. „Das Gespräch darf aber nicht über die Frage nach grundsätzlichem Interesse an einem Jobwechsel und – bei positiver Antwort – eine kurze Beschreibung der offenen Stelle hinausgehen.“

Doch dabei bleibt es häufig nicht: Immer wieder stellen Headhunter Fragen nach dem Lebenslauf oder rühren kräftig die Werbetrommel für den neuen Job. In einem Fall aus der jüngeren Vergangenheit dauerte ein Telefonat deshalb satte zwölf Minuten – zu viel, stellte das Oberlandesgericht Frankfurt klar (Az.: 6 W 70/19): Das Gespräch habe die „zulässige Dauer eines Erstkontakts“ überschritten und sei damit ein „unlauterer Abwerbeversuch“. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass der Headhunter die Mitarbeiterin auf dem Privathandy angerufen hatte, entschieden die Richter. Denn er hatte versäumt zu fragen, ob sie sich gerade am Arbeitsplatz „oder sonst bei der Arbeit befindet“, also zum Beispiel im Homeoffice.

Erfreulich aus der Sicht von Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen: Von solchen Anrufen bekommen sie schnell Wind – auch ohne übermäßig loyale Mitarbeiter. „Häufig nehmen Arbeitnehmer Headhunter-Anrufe zum Anlass, um eine Gehaltserhöhung zu fordern“, berichtet Ehlers. Führungskräfte seien in solchen Situationen gut beraten, nachzuhaken und mehr über das Gespräch mit dem Headhunter zu erfahren. Denn das kann wertvolle Munition für etwaige juristische Schritte liefern (s. unten dritte Frage).

Das Prinzip „nachhaken und Informationen sammeln“ gilt auch für andere Abwerbeversuche, zum Beispiel über Online-Netzwerke. So ist es etwa verboten, wenn Personalberater den aktuellen Arbeitgeber diskreditieren. Das entschied das Landgericht Heidelberg vor einigen Jahren in einem vieldiskutierten Fall: Ein Headhunter hatte einen Arbeitnehmer über das Karriereportal Xing geschrieben: „Sie wissen ja hoffentlich, in was für einem Unternehmen Sie gelandet sind. Ich wünsche Ihnen einfach mal viel Glück. Bei Fragen gebe ich gern Auskunft.“ Nach Ansicht des Heidelberger Gerichts handelte es sich dabei um eine „wettbewerbswidrige Herabsetzung“, die der Betrieb nicht hinnehmen müsse. Zudem stellte es klar, dass die Kontaktaufnahme als „gezielte Behinderung durch unlauteres Abwerben von Mitarbeitern“ zu werten sei (Az.: 1 S 58/11).

Ebenfalls beliebt, aber „verwerflich“ ist es, Wechselprämien zu versprechen oder Angestellte zum Vertragsbruch zu überreden. „Häufig brauchen Unternehmen so schnell wie möglich neue Mitarbeiter, etwa wegen eines Projekts oder eines neuen Kunden“, sagt Rechtsanwalt Ehlers. „Deshalb kommt es immer wieder vor, dass sie Mitarbeiter drängen, fristlos zu kündigen.“ Da die Voraussetzungen für einen solchen Schritt nur selten vorlägen, sei das in der Regel unzulässig.

Drittens: Wie könnten sich betroffene Betriebe wehren?

Wenn die Grenze zur Verwerflichkeit überschritten ist, stellt sich die Frage: Wie können Mittelständler juristisch dagegen vorgehen – und ist das überhaupt sinnvoll? Rechtsanwältin Posluschny rät ihren Mandanten in solchen Situationen zu „professioneller Gelassenheit“. Sie bekomme immer Anrufe von „hochemotionalen“ Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern, die gerade von aggressiven Abwerbeversuchen erfahren haben und sofort handeln wollen. „In vielen Fällen kann ich Betroffenen aber nicht dazu raten, juristisch dagegen vorzugehen“, sagt die Arbeitsrechtlerin. So seien für eine einstweilige Verfügung hohe Hürden zu überwinden. „Die Darlegungs- und Beweislast liegt bei demjenigen, der die einstweilige Verfügung beantragt.“

Und das Problem ist: Selbst wenn Unternehmen keine verwerflichen Zwecke, sondern verwerfliche Methoden rügen, sind gerichtsfeste Nachweise kein Kinderspiel. Zudem dauerten Verfahren häufig länger als erhofft, warnt Posluschny. „Nach meiner Erfahrung setzen Arbeitsgerichte in solchen Fällen regelmäßig eine mündliche Verhandlung an.
Sie hält juristische Maßnahmen deshalb nur für sinnvoll, wenn Unternehmer die akute Gefahr sehen, dass die Konkurrenz weitere Schlüsselpersonen oder sogar ganze Abteilungen abwirbt. Dann ist so viel kritische Masse erreicht, dass Betriebe das Wagnis eines Rechtsstreits auf sich nehmen sollten. „Im ersten Schritt empfehle ich dann eine Abmahnung – verbunden mit der Aufforderung, weitere rechtswidrige Abwerbeversuche zu unterlassen“, sagt Posluschny. Zudem sollten Unternehmen in solchen Schreiben drohen, bei weiteren Abwerbeversuchen eine einstweilige Verfügung zu beantragen und gegebenenfalls sogar Schadensersatzforderungen geltend zu machen.

Schadensersatzklagen sind zwar ebenfalls eine heikle Angelegenheit, weil Unternehmen nicht nur die Verwerflichkeit nachweisen, sondern auch den Schaden beziffern müssen. Aber bisweilen reichen schließlich bereits glaubwürdige Drohungen, um Wettbewerber dazu zu bringen, ihre Versuche einzustellen.

Viertens: Wie sieht eine wirksame Präventionsstrategie aus?

Unterm Strich bleibt festzuhalten: Wer allein auf juristische Maßnahmen setzt, könnte sich wegen der hohen Hürden für einstweilige Verfügungen und Schadensersatzklagen verkalkulieren. Wenn Führungskräfte von Abwerbeversuchen erfahren, sollten sie es deshalb nicht dabei belassen, die Rechtslage zu prüfen. Mindestens genauso wichtig und oft sogar zielführender ist es, schnellstmöglich das Gespräch mit wichtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern suchen. Denn Wertschätzung zu zeigen, Gehaltserhöhungen anzukündigen oder Karriereperspektiven zu eröffnen kann Headhuntern den Wind aus den Segeln nehmen. Und es muss nicht immer ein kräftiger finanzieller Zuschlag sein. „Kleine Gesten sind häufig genauso wirkungsvoll wie großzügige Boni“, sagt Posluschny.

Sicher, glaubwürdig wirken Ad-hoc-Gespräche nur, wenn Führungskräfte schon zuvor Wertschätzung gezeigt haben – und nicht plötzlich vom Saulus zum Paulus mutieren. Wer die Chance erhöhen will, seine guten Leute zu halten, sollte deshalb frühzeitig die Basis dafür legen, dass Abwerbeversuche ins Leere laufen. Eine entscheidende Variable in diesem Zusammenhang ist das Arbeitsklima. „Teamgeist und ein fairer Umgang mit den Mitarbeitern sind die beste Prävention gegen Abwerbungen“, sagt Rechtsanwalt Ehlers.

Allerdings ist es sinnvoll, diese „weichen“ Präventionsmethoden juristisch zu flankieren. So können längere Kündigungsfristen, nachvertragliche Wettbewerbsverbote und Geheimhaltungsregeln den Marktwert des Personals deutlich senken – und Abwanderungen dadurch unattraktiver machen. Denn die Erfahrung zeigt: Selbst das beste Arbeitsklima sorgt nicht automatisch für Loyalität. Auch der fairste Chef sieht sich bisweilen mit Abwanderungsgelüsten oder überzogenen Gehaltsforderungen konfrontiert. Juristisch nachzuhelfen, um Selbstoptimierer zu bremsen, kann deshalb nicht schaden.

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