Kritisches Feedback
Bringt Feedback wirklich etwas?

Selten liegen Theorie und Realität so weit auseinander wie beim Thema Feedback. In der Theorie ist es gewinnbringend. In der Realität geht es fast immer schief. Eine Abrechnung von Nicole Basel.

21. August 2024, 16:22 Uhr, von Nicole Basel, Chefredakteurin

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Bild einer Person mit vielen Sprechblasen um sie herum.
Auch wenn es gut gemeint ist: offenes, kritisches Feedback kann das Gegenüber kränken.
© Alona Horkova / iStockphoto / Getty Images
Führungsfragen – Die Kolumne
Nicole Basel führt als Chefredakteurin die impulse-Redaktion. An dieser Stelle schreibt sie über Fragen, die sie als Chefin beschäftigen.

Ich weiß: Die Frage in der Überschrift wird bei vielen, die sich mit Führung beschäftigen, Stirnrunzeln hervorrufen. Feedback gilt als wichtig. Als mächtig. Als unverzichtbar. Ohne ehrliche Rückmeldung, so heißt es, können Menschen und Teams kaum besser werden. Am besten führe man gleich eine Feedbackkultur ein. Bei Netflix gibt es sogar ein Feedback-Handbuch. Auf impulse.de gibt es 39 Artikel und Downloads zum Thema Feedback. Doch nach 20 Jahren im Berufsleben hat meine bedingungslose Begeisterung für offenes, kritisches Feedback Risse bekommen. Denn damit kritisches Feedback wirkt, muss vieles zusammenkommen:

Erstens muss die Beziehung zwischen Feedbackgeber und -empfänger von Respekt geprägt sein: Wenn ich jemanden fachlich nicht respektiere, werde ich von ihm kaum fachliches Feedback annehmen können. Wenn ich mich von jemandem nicht wertgeschätzt fühle, werde ich auf Durchzug schalten, wenn er mein Verhalten kritisiert.

Zweitens muss der Feedbackgeber fähig sein, Feedback wertschätzend und konstruktiv rüberzubringen – und zwar auch dann, wenn es heiß hergeht.

Die Fähigkeit, Feedback positiv nutzen zu können

Drittens muss der Feedbackempfänger das Feedback positiv nutzen können. Und das ist vermutlich die Voraussetzung, die am seltensten gegeben ist. Denn es ist in meinen Augen naiv, davon auszugehen, dass die meisten Menschen gut mit Feedback umgehen können.

  • Manche fühlen sich durch Kritik beschämt oder resignieren („Ich werde den Anforderungen nie genügen“).
  • Andere gehen in den Widerstand („Was soll ich denn noch alles leisten?“).

Feedback positiv zu nutzen, ist anspruchsvoll. Ich würde auch nicht von mir selbst behaupten, dass ich mit kritischem Feedback immer gut umgehen kann (ich neige – je nachdem, von wem das Feedback kommt – zu Widerstand). Feedback annehmen und positiv nutzen zu können, setzt Selbstsicherheit und Selbstvertrauen voraus.

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Nicht nur ich bin skeptisch, ob Feedback wirklich so oft zu einer Lernkurve führt wie angenommen – oder ob es nicht vielmehr verunsichert, demotiviert oder gar zum Konflikt führt. Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass kritisches Feedback im Gehirn eine Kampf- oder Fluchtreaktion hervorruft – und damit das Lernen sogar hemmt. Menschen lernen, wenn sie verstehen, was funktioniert. Wenn sie Fehler machen und erkennen dürfen.

Studien zeigen auch, dass Menschen am meisten wachsen, wenn sie sich auf ihre Stärken fokussieren. Das bedeutet für Führungskräfte, die Augen für Erfolge offen zu halten – und dann nachzufragen: Wie bist du ans Ziel gekommen? Wie kannst du das wiederholen? Was lernst du aus diesem Erfolg?

Ist kritisches Feedback also sinnlos? Ich denke nicht. Viele Menschen wünschen sich Feedback. Wichtig ist, darauf zu achten, dass der andere das Feedback auch annehmen kann. Im Zweifel lieber mal nach vorn schauen anstatt zurück. Über Feedback zu dieser Kolumne würde ich mich übrigens freuen. Einfach die Kommentarfunktion nutzen.

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