Gemeinsam Azubis finden
Durch Kooperation leichter Personal finden: Eine Unternehmerin macht’s vor

Die Suche nach passenden Azubis kostet Zeit, Geld und Nerven. In Aachen kooperieren kleinere Unternehmen in einem Verein, um das Problem zu meistern. Eine Unternehmerin berichtet, was ihr das bringt.

6. Februar 2023, 07:09 Uhr, von Kathrin Halfwassen, Redakteurin

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Meike Jungbluth
Meike Jungbluth, Geschäftsführerin der Roskopf Unternehmensgruppe, mit Azubi Pawel Bronkalla
© Ivo Mayr

Es ist ein echtes Dilemma, das Meike Jungbluth, Geschäftsführerin der Roskopf Unternehmensgruppe in Aachen, stellvertretend für viele kleinere Unternehmen aus der Region beschreibt: „Wenn kleinere Unternehmen junge Leute in gewerblich-technischen Berufen ausbilden, können sie oft nicht alle Inhalte des Lehrplans selbst vermitteln. Sie müssen ihre Azubis dann für einzelne Module in größere Unternehmen schicken. Und dort – werden diese oft abgeworben.“ Den Betrieben bleibe also nur die Wahl zwischen schlecht und schlecht: entweder gar nicht ausbilden und die Chance vertun, sich Facharbeiter heranzuziehen. Oder aber ausbilden – mit dem Risiko, den Nachwuchs direkt nach der Lehre zu verlieren.

Ein Dilemma mit Ausweg

Um das Dilemma zu lösen, kooperieren in Aachen zehn kleine und mittlere Unternehmen aus der Städteregion, unter anderem Roskopf, über den gemeinsamen Verein TIAF AC (Technisch-Innovative Ausbildungs- und Fachkräftesicherung) mit dem TÜV Nord Bildung. Denn auch der TÜV bietet theoretisch und praktische Ausbildungsmodule in einer Lernwerkstatt an, etwa für das Schweißen und Drehen. TIAF-Mitglieder buchen jetzt nur noch dort. „Der große Vorteil: Der TÜV sucht keine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, so ist die Gefahr der Abwerbung gebannt“, sagt Jungbluth. Und weil über den Verein so viele Module gebucht werden, erhalten Unternehmen bessere Preise.

Daneben erleichtert die Kooperation des Vereins mit dem TÜV auch die Suche nach Azubis. „Oft ist es doch so: Ein Teenager denkt etwa, er möchte Metallbauer werden. Vielleicht, weil der Opa diesen Beruf hatte. Er bewirbt sich bei einem Unternehmen, das Metallbauer ausbildet, wird eingeladen – und merkt dann im Gespräch, dass das genaue Berufsbild gar nicht zu seinen Vorstellungen passt“, so Jungbluth, die mit ihren 170 Beschäftigten unter anderem Förderanlagen für Schüttgüter wie Recyclingmaterialien oder Steine herstellt.

Testungen der Bewerber verbessern das Matching

Um solche Fehlschläge zu verhindern, übernimmt der TÜV die Vorauswahl potenzieller Azubis für den Verein, der selbst keine Angestellten hat. Wer eine Ausbildung im gewerblich-technischen Bereich machen möchte, kann sich beim TIAF melden und bekommt dann einen Termin, um mit Sozialpädagogen des TÜV zu schauen, welche Ausbildung wirklich passt. Danach testen TÜV-Mitarbeiter die Bewerber, etwa zum mathematischen und technischen Verständnis. „Aus all diesen Informationen erstellt der TÜV Profile, die er an die Vereinsmitglieder weitergibt“, so Jungbluth. Dann gelte das Prinzip: „First come, first serve.“

Bezahlt wird das Recruiting aus einem Teil der Modul-Kosten sowie aus den Mitgliedsbeiträgen – 1020 Euro im ersten Jahr, 800 Euro im zweiten und 500 Euro ab dem dritten. Außerdem finanziert der Verein darüber organisatorische Unterstützung durch den TÜV, etwa beim Ausfüllen von Förderanträgen, dazu Social-Media-Beratung für die Mitglieder – und neues Equipment, etwa eine VR-Brille, mit der TIAF-Vertreter auf Messen die Ausbildungsberufe spannender präsentieren können.

18 Auszubildende konnte der TIAF, der selbst keine Angestellten hat, in diesem Jahr gewinnen. Einer von ihnen, Pawel Bronkalla, arbeitet jetzt bei Roskopf. „Anders als viele Vereinsmitglieder haben wir zwar eine eigene HR-Abteilung. Aber als KMU braucht man mehr als einen Kanal für die Personalarbeit – deshalb würde ich nie auf den TIAF verzichten.“ Seit 2021 ist Jungbluth Mitglied im Verein, seit diesem Jahr arbeitet sie auch im Vorstand.

Kooperieren bedeutet immer auch: Kompromisse finden

Doch so schlüssig die Kooperation wirkt, es gibt auch Herausforderungen. „Einige Unternehmen denken etwa immer noch, die Azubis müssten sich bei ihnen bewerben“, so Jungbluth. „Ich aber glaube, bei diesem krassen Fachkräftemangel müssen sich die Arbeitgeber umgekehrt beim Nachwuchs vorstellen.“ Für sie bedeutet das etwa, sich schnell zurückzumelden, wenn eine Bewerbung beim Verein eingeht. Die Mitglieder haben beschlossen, sich maximal fünf Tage Zeit zu lassen mit einer Reaktion. „Mir persönlich wären zwei Tage lieber. Aber Kooperieren bedeutet eben, Kompromisse einzugehen und nicht auf Teufel komm raus seine Meinung durchzudrücken“, so Jungbluth. „Denn dann ginge die Augenhöhe der Partner verloren – und das wäre der Anfang vom Ende.“

Etwa zwei Tage pro Monat investieren Jungbluth und einige ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Verein. Nicht mitgerechnet die Besuche in Schulen etwa – und Netzwerktreffen mit anderen Unternehmerinnen und Unternehmern, bei denen Jungbluth versucht, neue Mitglieder für den Verein zu gewinnen.

Das Werben falle ihr leicht, sie stehe zu 100 Prozent hinter dem Konzept. „Das Problem Fachkräftemangel ist so riesig – wer da nicht langsam aus seiner Komfortzone kommt und auf Kooperationen setzt, wird langfristig den Kürzeren ziehen.“

Etwa, weil der Austausch mit anderen für einen Pool an Ideen sorge, auf den Einzelne nie kämen. Ein Beispiel? „Wir planen, einen Grillabend der Pfadfinder zu unterstützen und uns dort vorzustellen. Einen besseren Rahmen, unserer Zielgruppe nahezukommen, gibt es kaum – die jungen Leute vertrauen ihren Teamleadern und fühlen sich wohl in der Situation. Anders als in der Schule. So simpel eigentlich – aber mir allein wäre das nicht eingefallen.“

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