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„Mit Erfolgen richtig umzugehen ist viel schwieriger als mit Misserfolgen“

Für Fußball- wie für Firmenteams gilt: Wer große Ziele erreichen will, muss Siege und Niederlagen richtig verarbeiten. Wie, erklärt Teampsychologe und Nationalspielercoach Maximilian Pelka.

12. Juni 2024, 11:07 Uhr, von Jelena Altmann, leitende Redakteurin

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Maximilian Pelka coacht unter anderem Nationalspieler und war bereits bei Bayern München und RB Leipzig als Teampsychologe tätig.
Maximilian Pelka coacht unter anderem Nationalspieler und war bereits bei Bayern München und RB Leipzig als Teampsychologe tätig.

impulse: Herr Pelka, warum brauchen Fußballmannschaften Teampsychologen wie Sie?

Maximilian Pelka: Wir betreuen einzelne Spieler, Trainer, aber auch die Mannschaft als Ganzes. Im Fußball sind die Sportler einem enormen Erwartungsdruck ausgesetzt, der von einem selbst, der Familie und der Öffentlichkeit ausgeht. Viele plagen sich mit Gedanken über Konsequenzen: Was passiert, wenn ich einen Fehlpass spiele? Was, wenn wir verlieren? Komme ich auch im nächsten Spiel zum Einsatz? Wird mein Vertrag verlängert? Es gibt viele Schauplätze rechts und links, die Ablenkungsgefahr von der eigentlichen Aufgabe ist groß. Dem kann man nicht immer Herr werden. Hier greifen wir als Teampsychologen ein, um solche Ablenkungen beiseite zu schieben und den Fokus auf das nächste Spiel zu lenken.

Welche Parallelen sehen Sie zu Teams in Unternehmen?

Der Übertragungsweg ist extrem kurz. Jede Branche hat ihre eigenen Ablenkungen. Das können Jobunsicherheiten oder extrem hohe Arbeitsanforderungen sein. Es geht darum, dem entgegenzuwirken.

Wie wirken sich Erfolg und Misserfolg auf die Teamdynamik aus?

Ständige Misserfolge können zu Selbstzweifeln führen und die Motivation des Teams stark beeinträchtigen. Wenn solche Situationen nicht richtig behandelt werden, macht das die nächste Niederlage wahrscheinlicher. Aber: Der richtige Umgang mit Erfolgen ist oft schwieriger. Sie stärken zwar das Selbstvertrauen. Doch es kann auch passieren, dass Teams sich auf dem Erreichten zu lange ausruhen, sich für unfehlbar halten und darauf verlassen, dass es wie in der Vergangenheit weiterläuft. Was es aber nicht tut.

Warum nicht?

Weil nicht allem, was gut gelaufen ist, gute Leistungen zu Grunde liegen. Auch bei einem 3:0-Sieg nicht. Wenn etwa die sehr gute Leistung des eigenen Torhüters über eine schlechte allgemeine Verteidigungsleistung der Mannschaft hinwegtäuscht. Das Gleiche gilt für Teams in Unternehmen, wenn sie einen wichtigen Kunden gewonnen haben. Da wird bestimmt auch nicht alles reibungslos verlaufen sein. Wenn man sich damit nicht kritisch auseinandersetzt, schleichen sich Fehler ein und können zu einem großen Problem werden.

 Wie wichtig ist es, Erfolge zu feiern und wie lange darf man diese Momente ausleben?

Es ist sehr wichtig, Erfolge zu würdigen. Aber nur so lange, wie es nicht die Vorbereitung auf das nächste Event, Aufgabe oder Vorhaben beeinträchtigt. Wenn beispielsweise im Fußball im Drei-Tages-Rhythmus gespielt wird, dann wird selbstverständlich der Erfolg gefeiert und die Freude ausgelebt. Aber es ist auch wichtig, das Ergebnis richtig einzuordnen und schnell einen klaren Cut zu machen. Nach dem Motto: „Gewonnen, schön, wir haben uns gefreut, aber jetzt liegt der Fokus auf der nächsten Aufgabe.“

Wie sieht das in der Praxis aus?

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Nach dem Spiel gibt es in der Regel eine Analysesitzung für alle Beteiligten. Dabei wird besprochen: Was ist gut gelaufen, was nicht? Und welche Lehren lassen sich für das nächste Spiel ziehen? Hierbei wird sowohl das Positive, als auch das Negative hervorgehoben, also beiden Seiten Gewicht gegeben, um nicht abzuheben. Wie gesagt: Der Erfolg am Samstag sagt nicht den Erfolg am Mittwoch voraus. Das Ziel ist es, dass wieder alle zurück zur Mitte finden. Am Tag nach der Besprechung gibt es meistens einen Tag Ruhe. Jeder kann dann für sich sein und sich den Kopf freimachen, um dann wieder völlig losgelöst von der Vergangenheit in die nächste Aufgabe zu starten.

Worauf sollten Firmen achten, damit es auch wirklich funktioniert?

Die Nachbesprechung sollte möglichst zeitnah, am besten am Tag danach passieren. Und das Vorhaben oder die Aufgabe sollte möglichst detailgetreu nachbesprochen und durchgelebt werden. Wichtig ist, dass alle sich offen und ehrlich äußern können, dass alles ausgesprochen wird. Ein Geschwafel ringsherum hilft keinem weiter. Das kann auch manchmal etwas hart sein. Aber nur so kann man echte Lehren daraus ziehen, die Weiterentwicklung möglich macht.

Und wie geht man am besten mit Niederlagen um?

Es sind die gleichen Mechanismen wie beim Erfolg. Emotionen sind wichtig. Wie das Feiern gehört es auch dazu, sich einen Abend lang zu ärgern. Doch auch bei einem Misserfolg war bestimmt nicht alles schlecht, es gibt immer Punkte, die gut gelaufen sind, aber am Ende nicht zum Erfolg gereicht haben. Deshalb ist auch hier der wichtigste Schritt, wieder zur Mitte zurückzukehren, indem die Abläufe genau analysiert werden.

Bei Misserfolgen fällt es bestimmt schwer, sachlich zu bleiben.

Natürlich können bei der Nachbesprechung mal die Fetzen fliegen und lautstark diskutiert werden. Aber solange das in einem vernünftigen Rahmen passiert und man sich wieder die Hände geben kann, ohne nachtragend zu sein, ist das völlig ok.

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Was passiert, wenn diese Aufarbeitung nicht stattfindet?

Das Schlimmste ist, wenn man in Grübeleien verfällt, nach fünf Tagen immer noch über das letzte Spiel – oder aufs Unternehmen bezogen – über das letzte Meeting nachdenkt, nach dem Motto: „Hätte ich mal, hätte ich mal, hätte ich mal …“ Dann bekommen wir die emotionale und mentale Erholung von dem, was passiert ist, nicht mehr hin. Grübeleien sind der Erholungskiller Nummer 1. Sie machen jeden Fokus auf die nächste Aufgabe komplett zunichte. Deshalb ist Austausch und Rückmeldung wichtig. So erhöhe ich die Wahrscheinlichkeit, dass die Dinge besser verarbeitet werden –  und der Erfolg beim nächsten Spiel oder Meeting wird wahrscheinlicher.

 Was ist die Aufgabe des Chefs oder der Chefin im Umgang mit Erfolg und Misserfolg?

Sie haben die spannendste Aufgabe. Sie geben nicht nur taktischen und strategischen Input, sondern sind auch dafür verantwortlich, dass dieser Raum für Austausch gegeben ist. Am Ende ist die Idealsituation, dass Spieler oder Mitarbeitende sich selbstständig um den Prozess kümmern: dass sie das Ereignis auf- und bearbeiten. Die Aufgabe der Führungskraft ist es, diesen Austausch anzuleiten.

Wie schaffe ich ein Klima, in dem sich Teammitglieder ehrlich austauschen können?

Das ist nicht einfach, es ist eine Frage der Vertrauenskultur. Nur wenn Sportler oder Mitarbeiter vertrauen, können sie Höchstleistung bringen. Spieler oder Mitarbeitende müssen spüren, dass der Chef oder Trainer sie dabei unterstützen will, das nächste Level zu erreichen. Oft sind es die kleinen Gesten im Umgang miteinander, zum Beispiel, indem Führungskräfte regelmäßig nachfragen: Wie geht es dir? Wie läuft es zu Hause? Dazu gehört aber auch, dass Teammitglieder am Trainer Kritik äußern können und genügend Raum geboten wird, darüber zu diskutieren. Die Spieler oder Mitarbeiter interessiert es nicht, wie viel du weißt, solange du dich nicht für sie interessierst.

Wie wirkt es sich aufs Team aus, wenn ein Teammitglied nur die eigenen Interessen verfolgt?

Damit Teams gut funktionieren, ist es wichtig, dass individuelle Ziele dem großen Teamziel untergeordnet beziehungsweise in Einklang gebracht werden. Sonst ist der Teamerfolg gefährdet. Wenn ein Toptorjäger sich vornimmt, bei der Europameisterschaft die meisten Tore zu schießen, kommt das dem gesamten Team zugute. Es wird allerdings problematisch, wenn der Stürmer nur das Tor und nicht seine Mitspieler im Blick hat. Dann besteht Handlungsbedarf. Der Topspieler wird nur erfolgreich sein, wenn er von seinen Mitspielern Unterstützung bekommt. Die erhält er aber nur, wenn er auch mal vorm Tor den Ball abgibt. Da muss der Stürmer eben ein paar Tore weniger schießen.

An welche Teamerfolge erinnern Sie sich besonders gern zurück?

Am schönsten sind für mich die spontanen Feiern. Als ich beim RB Leipzig tätig war, gab es einige tolle Momente. Zum Beispiel sind wir in Lissabon während der Covid-Pandemie unerwartet ins Halbfinale gekommen. Danach wurde ausgelassen gefeiert, es wurde ein nettes Bankett errichtet, zwei, drei Biere aufgemacht und in der Kabine ordentlich Musik gespielt.

Der Experte
Maximilian Pelka ist selbstständiger Psychologe für mentale Gesundheit und Höchstleistung. Er coacht insbesondere Fußballspieler, darunter auch Nationalspieler. Der 35-Jährige war unter anderem bei Bayern München, RB Leipzig und Fortuna Düsseldorf als Teampsychologe tätig. Pelka hat nach eigenen Angaben etwa 250 Spiele begleitet.

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