Fünf-Stunden-Tag
Wie Ihr Team in weniger Zeit mehr leisten kann

Der Steuerberater Erich Erichsen lässt seine Angestellten pro Tag 5 Stunden arbeiten, zahlt ihnen aber ein Gehalt für 8 Stunden. Wie es dem Unternehmer gelingt, die Produktivität zu steigern. Ein Beispiel zum Nachmachen.

23. Juli 2021, 04:11 Uhr, von Jelena Altmann, leitende Redakteurin

Fünf Stunden Tag: Wie Ihr Team in weniger Zeit mehr schafft
© knallgrün/Photocase

Eine 37-Stunden-Woche, ab freitagmittags Feierabend, alle Brückentage zusätzlich zum vereinbarten Urlaub frei – im Hamburger Steuerbüro von Erich Erichsen sind seit Gründung 1978 die Arbeitszeiten großzügig geregelt. Diese hatte der Vater des heutigen Inhabers eingeführt. Erichsen Junior hat die Arbeitszeiten mit der Kanzleiübernahme 2007 beibehalten.

Doch bald merkte der 46-Jährige: Die Regelung passt nicht zu den Bedürfnissen des fünfköpfigen Teams und zur Firma. Erichsen beschloss, das zu ändern.

Welches Problem wird gelöst?

Auslöser war eine Mitarbeiterin, die 2018 ihre Arbeitszeit reduzieren wollte, um mehr Zeit für ihre Familie zu haben. Eine weitere Teilzeitkraft wollte Erichsen nicht einstellen, weil das mehr Aufwand bedeutet hätte. Er überlegte: Was wäre, wenn sie in weniger Stunden das gleiche Arbeitspensum schafft? Die Mitarbeiterin probierte es aus, und es klappte. Das brachte Erichsen ins Nachdenken: „Es zeigt, dass wir Unternehmer oft nicht die Arbeitsleistung, sondern die Arbeitszeit vergüten.“

Erichsen recherchierte und stieß auf die Geschichte von Lasse Rheingans. Der Bielefelder Softwareunternehmer führte Ende 2017 ein ungewöhnliches Arbeitszeitmodell ein und schrieb darüber das Buch „Die 5-Stunden-Revolution“. Der Unternehmer lässt sein Team fünf Stunden pro Tag arbeiten, zahlt ihnen aber ein Gehalt für acht Stunden.

Erichsen war sofort begeistert und sah auch einen Vorteil für sich: „Ich will ebenfalls ein ausgewogenes Leben haben“, sagt Erichsen. Nur wie kann er verhindern, dass er am Ende für weniger Arbeit das gleiche Geld zahlt?

Wie ging die Firma vor?

Erichsen stellte Anfang 2019 seinem Team den Fünf-Stunden-Tag vor, erklärte, dass das Modell nur funktioniert, wenn jeder hocheffizient arbeitet. Jeder sollte zunächst Bücher über Produktivität und den Fünf-Stunden-Tag lesen: Etwa das von Rheingans und „The One Thing“ des US-Immobilienunternehmers Gary Keller. Das Team diskutierte freitags im Meeting über die Inhalte. „Ich habe laufend gefragt: Wo steht ihr? Findet ihr den Fünf-Stunden-Tag immer noch gut?“, sagt Erichsen. Den Angestellten gefiel die Aussicht auf mehr Freizeit, sie wollten das Vorhaben angehen.

Dann wurden gemeinsam Zeitfresser ausfindig gemacht. „Hier musste jeder ehrlich sein“, erklärt Erichsen. Fußballergebnisse, Familienanrufe, Instagram – das Team ermittelte, was es von der Arbeit ablenkte, und erstellte daraufhin einen Leitfaden für die Zusammenarbeit. In Zukunft bleibt das Handy ausgeschaltet, Mails werden nur einmal am Tag gecheckt und keine Plaudereien. Das Team legte fest, dass es mittwochs gemeinsam zu Mittag isst, um über Privates sprechen zu können.

Auch Aufgaben kamen auf den Prüfstand. Bisher mussten die Fachkräfte Administratives wie den Telefondienst übernehmen, was etwa 15 Prozent ihrer Zeit ausmachte. Erichsen beschloss, jemanden stundenweise dafür einzustellen, der weniger kostet.

Wie wird der Fünf-Stunden-Tag gelebt?

Nach der Vorbereitungszeit von einem Jahr startete der Fünf-Stunden-Tag im Januar 2020. Das Team fängt in der Regel um acht Uhr an. Es wird schneller und konzentrierter als bei einem Acht-Stunden-Tag gearbeitet – ohne Pause. Allerdings gelingt es nicht jeden Tag, alle anstehenden Aufgaben in dem kurzen Zeitrahmen zu erledigen. „Wir müssen ständig schauen, wo wir Prozesse optimieren können“, sagt Erichsen. Im Grunde hört das Team nie auf, nach Zeitfressern zu suchen. Selbst Kleinigkeiten wie eine verbesserte Dokumentenablage kann zur Effizienzsteigerung beitragen. Deshalb gibt es jeden Tag ein Stand-up-Meeting von maximal 15 Minuten, um Probleme anzusprechen, für die dann später eine Lösung entwickelt werden kann.

Und wie kommt das Team mit dem Arbeitsmodell klar? Erichsens Mitarbeiterin Bettina Brown sagt: „Anfangs hatte ich Angst, dass ich es nicht schaffe.“ Doch je länger sie im neuen Modus arbeitete, desto mehr gewöhnte sie sich ans Tempo. Heute macht sie in der Regel um 13 Uhr Feierabend. „Ich möchte nicht mehr zurück zu den alten Arbeitszeiten“, sagt Brown. Seit sie fast jeden Tag mittags gehen kann, hat sie mehr Zeit für Familie und Sport.

Welche Vorteile hat es?

Der Fünf-Stunden-Tag hat die Firma flexibler gemacht – was sich insbesondere in der Krise gezeigt hat. Kurz nach der Einführung brach die Corona-Pandemie aus. Alle gingen ins Homeoffice, zudem wurden ein Teammitglied und der Chef Wochen krank. Die Kollegen arbeiteten vorübergehend zwei Monate lang mehr als fünf Stunden.

Und Erichsen musste keine Überstunden bezahlen, denn laut Vertrag gilt noch die 37-Stunden-Woche. „Meinem Team ist klar, dass ich ihnen Freizeit schenke. Deshalb gehen sie auch die Extrameile für mich “, sagt er. Auch dann, wenn neue Projekte anstehen.

„Für mich ist wichtig, dass am Ende Umsatz und Ertrag stimmen“, sagt Erichsen. 2020 stiegen die Einnahmen um 10 Prozent auf 550 000 Euro, der Gewinn sogar um 15 Prozent.

Für wen eignet es sich?

Verschiedene Studien wie eine der Hans-Böckler-Stiftung belegen, dass die Produktivität pro Stunde bei kürzeren Arbeitszeiten steigt. Dennoch eignet sich der Fünf-Stunden-Tag nicht für jede Firma. Sie sollten zwei Voraussetzungen erfüllen. Erstens: Die Angestellten müssen es wollen, über Stunden extrem fokussiert zu arbeiten. „Nicht jeder kommt mit einer hohen Arbeitsdichte gut zurecht und arbeitet lieber mit mehreren Pausen über den Tag verteilt“, erklärt die Arbeitspsychologin Ulrike Hellert von der FOM Hochschule Nürnberg.

Zweitens: Die Arbeitsprozesse müssen optimierbar sein. Das kann bei standardisierten Abläufen und Routineaufgaben gelingen. In Jobs, bei denen ständig Kreativität gefragt ist, wäre ein Fünf-Stunden-Tag bei vollem Gehalt ungeeignet. „Ideen entstehen nicht auf Knopfdruck“, sagt Hellert. Andere Branchen, in denen das Modell eher nicht funktioniert: In Restaurants und Geschäften können Angestellte ebenfalls nicht einfach schneller arbeiten und früher nach Hause gehen.

Was ist rechtlich zu beachten?

Erich Erichsen hat die Stundenreduzierungen nicht in die jeweiligen Arbeitsverträge aufgenommen. Dieses Vorgehen empfiehlt auch Livia Merla, Arbeitsrechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei MGP in Berlin. Wird der Fünf-Stunden-Tag vertraglich festgelegt, handelt es sich um einen klassischen Teilzeitjob. „Das heißt: Wenn die Arbeit nicht fertig geworden ist und jemand länger als die vertraglich geschuldete Arbeitszeit arbeitet, sind das Überstunden, die ausgeglichen werden müssen“, erklärt die Anwältin. Es ist außerdem kein Rückgang zum alten Arbeitsmodus mit acht Stunden ohne die Zustimmung der Angestellten möglich.

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