Gendergerechte Sprache
Welche Unternehmen gendern sollten – und wie es gelingt

Immer mehr Firmen stellen ihre Kommunikation auf gendergerechte Sprache um - etwa, um bei jüngeren Zielgruppen zu punkten. Was es sonst noch bringt und wie Sie den Veränderungsprozess klug steuern.

27. Juni 2023, 08:35 Uhr, von Kathrin Halfwassen, Redakteurin

Gendergerechte Sprache hat viele Vorteile für Unternehmen
© Marlene Gollasch

Aktuell besteht keine Pflicht für Unternehmen, die gendergerechte Sprache zu nutzen. Daher eine kurze Klärung vorab: Dieser Artikel soll kein Debattenbeitrag sein. Sondern ein Text für Menschen, die beim Gedanken an gendergerechte Sprache so eine diffuse Unlust beschleicht – allerdings kombiniert mit der Ahnung, dass man die Kommunikation im eigenen Unternehmen wohl schon irgendwann mal umstellen sollte. Und ein Text für jene, die schon entschieden haben, die Unternehmenskommunikation anzupassen, denen aber ein Fahrplan fehlt.

Warum sollten Unternehmen gendergerecht kommunizieren?

Für Fachleute scheint die Sache klar: „Es ist keine gute Option für Unternehmen, weiter abzuwarten. Denn gendergerechte Sprache ist inzwischen so weit standardisiert, dass sie nicht wieder weggehen wird – auch wenn einige das vielleicht noch hoffen“, sagt Simone Burel, Geschäftsführerin der Linguistischen Unternehmensberatung aus Mannheim. Zudem bietet eine Umstellung Vorteile für die Unternehmen. „Über das Gendern können sie zeigen: Uns sind Gleichberechtigung, Wertschätzung und Chancengerechtigkeit wichtig. Wir sind im Zeitgeist“, sagt Burel.

Dazu belegen Studien positive Effekte fürs Recruiting: Sind Stellenanzeigen und Karriereseite gendergerecht formuliert, bewerben sich bis zu 33 Prozent mehr Frauen. „Außerdem ziehen Unternehmen auf diese Weise mehr jüngere Menschen unter 35 Jahren an – und mehr Personen, die sich nicht männlich oder weiblich definieren“, so Burel weiter.

Wer vor allem gut ausgebildete, junge Fachkräfte sucht, kommt am Gendern ohnehin nicht vorbei: „Menschen unter 25 mit hohen Bildungsabschlüssen stellen sich gar nicht mehr die Frage, ob sie gendern sollen oder nicht – die tun es ganz selbstverständlich“, sagt Muriel Aichberger, der als Experte für inklusive Kommunikation und Anti-Diskriminierung ebenfalls Firmen berät.

Ist die Angst vor Shitstorms berechtigt?

Trotzdem scheuen sich viele Unternehmen zu gendern – aus Angst vor Shitstorms und Bedenken, eine konservative Kundschaft zu verprellen. „Mit einem Shitstorm können Sie tatsächlich rechnen“, sagt Burel. „Der droht sehr sicher irgendwann aber auch dann, wenn sie es nicht tun.“ Die Kaufabsicht beeinflusst das Aufregerthema wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge indes nicht. „Nehmen Sie Audi: Als das Unternehmen 2021 angefangen hat zu gendern, gab es einen Shitstorm. Trotzdem hat Audi in dem Jahr nicht ein Auto weniger verkauft“, erklärt Burel.

Wie Sie verhindern, dass das Thema die Belegschaft spaltet

Bleibt die Befürchtung, gendergerechte Sprache könnte unter Angestellten zu einem Reizthema werden wie die Corona-Schutzmaßnahmen. Durchaus möglich, meint Diversity-Trainer Aichberger: „Sprache verortet uns in der Welt, sie bildet einen Teil unserer Identität. Deshalb wird das Thema auch so scharf diskutiert. Und es kann schon vorkommen, dass jemand auf neue Gendervorgaben reagiert mit: ‚Einen Scheiß muss ich!‘“

Aichberger rät Führungskräften, klarzumachen, dass die gendergerechte Sprache in Unternehmensunterlagen ganz sicher kommen wird. Den Beschäftigten darüber hinaus aber freizustellen, inwieweit sie mitmachen wollen – etwa in der Kommunikation untereinander.

Die Rechtslage zu gendergerechter Sprache in Unternehmen

Einen entspannten Angang empfiehlt auch Petra Ostermaier, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der Münchener Kanzlei SNP Schlawien: „Arbeitgeber dürfen über ihr Weisungsrecht zwar das Verhalten der Belegschaft im Betrieb bestimmen. Sie können also verlangen, im Außenauftritt gendergerechte Sprache zu verwenden – schriftlich wie mündlich.“ Letzteres hält Ostermaier aber für schwerlich durchsetzbar: „Arbeitgeber können kaum überprüfen, ob etwa ein Vertriebler im Kundengespräch wirklich gendert. Zudem berührt Sprache das Persönlichkeitsrecht der Angestellten: Gerade in der innerbetrieblichen mündlichen Kommunikation dürfte es das Weisungsrecht schlagen.“

Und was, wenn jemand sich weigert, Kunden gendergerecht anzuschreiben – auch wenn der Chef es will? „Solche Verstöße gegen das Weisungsrecht können Sie mit Abmahnungen sanktionieren“, sagt Ostermaier. Eine Kündigung wegen mehrerer Abmahnungen bezüglich innerbetrieblicher Kommunikation dürfte bei einer Kündigungsschutzklage in den meisten Firmen aber kaum Bestand haben. „Abgesehen von wenigen Tendenzbetrieben vielleicht, etwa einem Verein, der sich für gendergerechte Sprache einsetzt.“

Fahrplan für die Umstellung: 6 Schritte

Am Ende, da sind sich die drei Fachleute einig, ist die Umstellung auf gendergerechte Sprache ein ganz normaler Change-Prozess. „Mitarbeitende sind daran gewöhnt, dass sich Dinge ändern. Und verglichen mit anderen Vorhaben, etwa Änderungen in der Führungskultur, geht die Umstellung auf gendergerechte Sprache mit ein bis zwei Jahren eher schnell – und ist kostengünstig“, sagt Beraterin Burel. Besonders, wenn es einen konkreten Fahrplan gibt. Wie etwa den folgenden:

Schritt 1: Die Entscheidung allen erklären

„Die Geschäftsführung muss dem Team zum einen deutlich machen, dass fortan wirklich gegendert werden soll – und zum anderen erklären, warum das so ist“, sagt Burel. Diversity-Experte Aichberger sieht es ähnlich: „Die Führungskräfte sind der Schlüsselfaktor. Steht das obere Management nicht hinter der Umstellung, wird es im Betrieb keinen nachhaltigen Change geben.“

Schritt 2: Arbeitsgruppe zusammenstellen

Beide Fachleute raten, im Unternehmen mehrere Personen zu suchen, die sich für das Thema begeistern und die Umstellung neben der Geschäftsführung verantworten. „Für eine allein ist so ein Projekt zu groß. Denn es betrifft alle Unternehmensbereiche“, sagt Burel. Aichberger empfiehlt, diese Menschen professionell schulen und begleiten zu lassen. „Und: Sie müssen genügend Arbeitszeit zur Verfügung stellen. Wer so etwas in der Freizeit erledigen muss, ist natürlich sehr viel weniger motiviert.“

Schritt 3: Unterlagen sichten

Anschließend sollte die Arbeitsgruppe analysieren, welche Materialien auf gendergerecht umgestellt werden müssten – und wie viel Aufwand die einzelnen Maßnahmen bedeuteten. „Es muss einfach alles gecheckt werden, was mit Sprache zu tun hat. Von der Stellenanzeige über Broschüren, Website und Newsletter bis hin zu Pop-ups bei der Online-Kommunikation mit Kunden“, sagt Aichberger.

Schritt 4: Für eine Gendervariante entscheiden

Burel und Aichberger empfehlen beide die neutralisierende Variante. Also den Versuch, geschlechtsneutrale Wörter zu finden – etwa anstelle von „Mitarbeitern“ von „Mitarbeitenden“, „Angestellten“, „Arbeitskräften“ oder „Personal“ zu sprechen. „Diese Variante ist laut Fachmeinung die inklusivste Form. Sie baut Denkbarrieren ab und ist auch gut geeignet für Menschen, die Deutsch als Fremdsprache haben“, sagt Aichberger. Dazu sei sie barrierefrei – das heißt: Vorlesesoftware etwa kann sie problemlos wiedergeben.

Schritt 5: Mit den „low hanging fruits“ anfangen

Jetzt geht es in die Praxis. Burel empfiehlt, einen Leitfaden, vielleicht auch ein Wiki mit Anleitungen fürs Team zu erstellen. Dann das große Projekt in mehrere Phasen zu unterteilen – und mit den Dokumenten anzufangen, die bei wenig Aufwand eine große Wirkung erzielen: „Fast alle Unternehmen beginnen deshalb in der Kommunikations- und Personalabteilung.“ Auch Aichberger sieht etwa die Karriereseite und Kundenformulare als einen guten Startpunkt: „Das sind die Stellen, an denen Menschen zuerst mit einem Unternehmen in Berührung kommen. Damit haben sie einen größeren Effekt als etwa die Hausordnung.“

Schritt 6: Auch die mündliche Kommunikation angehen

Sind die schriftlichen Dokumente umgestellt, könnten Unternehmen beginnen, auch das Sprechen gendergerecht anzupassen – beispielsweise im Dialog mit der Kundschaft im Laden. Aichberger und Burel zufolge ist das aber die Kür. „Selbst ich als Linguistin habe ein Jahr gebraucht, bis ich im Mündlichen souverän gendern konnte“, erklärt Burel. Wieder hat die Geschäftsführung eine wichtige Multiplikationsfunktion: „Fängt ein Mitglied an, auch beim Sprechen zu gendern, setzt das ein großes Signal an die Belegschaft“, so Burel. Ihr Tipp: Mit Reden, Präsentationen und Vorträgen beginnen. Diese gendergerecht vorformulieren, sie sich ein paar Mal durchlesen – und dann versuchen, sie auch entsprechend vorzutragen.

Allen Fachleuten zufolge entscheidend ist, sich dem Thema unverkrampft und mit einem Schuss Leichtigkeit zu widmen. Diversity-Experte Aichbergers abschließende Empfehlung: „Sie sollten von der Problem- zur Potenzialperspektive wechseln. Nicht alles in einem großen Schwung umstellen wollen – oder eben gar nicht. Sondern nach dem Motto vorgehen: ‚So perfekt wie möglich, so nachlässig-locker wie nötig‘.“

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